Ich bin ja selber Schuld. Ich hab es beschrieen. Hab es verbockt. Ich wusste, das es falsch war. Gleich in jenem Moment, als ich auf “Toot absenden” drückte. Das mein Schicksal mir das Lob an die Bahn übelnehmen würde. Ich. Hätte. Es. Besser. Wissen. Müssen. Dabei lief die Fahrt so gut.
Ich mag ja Ziele, die an der Schnellfahrstrecke zwischen Hannover und Würzburg liegen. Göttingen, Kassel, Fulda oder eben Würzburg, von Hamburg nach Hannover is die Strecke ausgebaut bis 200 km/h, danach legt der Triebzugführer wahrscheinlich einfach den Fahrwahlschalter ans Metal und man ist in erstaunlicher Geschwindigkeit an diesen Orten. Ich bin Teile dieser Strecke besonders in den letzten Jahren auch oft mit dem Auto gefahren, weil ich weiter musste an einen Ort, der weit ab von den üblichen Verkehrsströmen war. Weil ich auch lieber in der abgeschlossenen Kapsel meines Wagen fahren wollte. In jenen Zeiten, als man sich noch Gedanken machte in der Pandemie, in den Jahren der Endemie, die sich so gar nicht anders anfühlen. Ich erinnere mich an meine neidischen Gedanken, wenn man kurz den ICE von der A7 sah, wie dieser mit hoher Geschwindkeit im nächsten Berg verschwand.
Das haarfeine Gitter im Fenster des ICE
Diese Schnellfahrstrecke ist irgendwie für mich ein Symbol, wie Bahnfahren sein könnte, hätte man die Schnellfahrstrecke schnell weiter an weitere Orte angebunden. Ich halte die Strecke für einen gesunden Kompromiss. Zwar länger als nötig durch die Streckenführung durch verschiedene Städte, die erschlossen werden sollten, aber nicht wie französische TGV-Schnellfahrstrecken1 von gares de betteraves geplagt.
Ich erinnere mich an jene Fahrten aus meiner Flugangstzeit, in denen es gefühlt ewig dauerte, bis man endlich von München in Würzburg angelangt war, damit dort der ICE nach Hamburg endlich fahrt aufnehmen konnte. Verglichen mit der Fahrt zuvor fühlte sich Würzburg praktisch schon wie “Gleich da!” an, auch wenn das natürlich nicht wahr war. Denn von Würzburg nach Hamburg sind es doch noch gute 3 Stunden. Aber durch die Geschwindigkeit fühlte sich das nah an.
ICE im Würzburger Bahnhof
Auch wenn die Strecke natürlich ihre Merkwürdigkeiten hat. Ich habe mich immer darüber gewundert, warum man diese nicht gleich nach Hamburg weiter gebaut hat. Die zweitgrösste Stadt in Deutschland quasi in unmittelbarer Schlagdistanz und man lässt die Strecke in Hannover enden, eine Stadt die nur etwas mehr als ein viertel der Bevölkerung von Hamburg hat. Das erschien mir immer unlogisch.
Es erschien mir unlogisch, als ich 2001 anfing, diese Strecke häufig mit der Bahn zu fahren. Es erscheint mit 24 Jahre später unlogisch und ich bin mir mittlerweile Sicher bei den immer noch fortwährenden Diskussionen um Alpha-E oder Y-Trasse, das ich 2040 bei meiner letzten Dienstreise mit der Bahn die Situation immer noch unlogisch finden werde. Denn ich habe keine Hoffnung, das bis dahin irgendetwas nenenswertes passiert sein wird. Ich will nicht undankbar sein, bei einer neuen Schnellfahrstrecke zwischen Hamburg und Hannover wäre Lünedingens wahrscheinlich schon längst abgehängt und diese Stadt ein genauso seltener ICE-Halt wie heute Bad Bevensen ein IC-Halt ist.
Ich gehe immer noch davon aus, die Strecke Hamburg-Hannover auch 2040 auf jener letzten Fahrt, auf der schnelles Vorankommen noch von Relevanz ist, bevor die Rente jeden Zeitdruck nimmt, in den 20 Minuten Schritten zu denken, die ich mir 2001 angewöhnt habe. Hannover. 20 Minuten. Celle. 20 Minuten. Uelzen. 20 Minuten. Lüneburg. 20 Minuten. Hamburg. Zu Hause. So ganz exakt war das nie. Aber eine gute Gedankenstütze, um die Restfahrzeit in der relativen Langsamkeit nach Hannover bis nach Hause abschätzen zu können. Auch heute kommt das immer noch erstaunlich gut hin. Aussteigen, den Bahnsteig runterwandern, zum Parkhaus gehen. Den viel zu gut weggepackten Parkschein suchen. Kleingeld suchen. Zum Auto gehen. Den genauso gut wegpackten Autoschluessel rauskramen. Nach Hause fahren. Treppe hoch. Schuhe in die Ecke kicken. Aufs Bett fallen. Das sind heute auch gut 20 Minuten.
Kassel-Wilhelmshöhe
Es war auf der Rückfahrt. Kurz vor Hannover war der Ort, an dem ich gestern mein Schicksal herausgefordert habe und verlor. Kurz vor Hannover lobte ich die Bahn noch für eine ereignislose Fahrt. Die Züge erreichten sogar ihre Ziele zu früh. Fahrplanreserven wurden in Bahnhöfen abgestanden. Der Umstieg in Kassel-Wilhelmshöhe funktionierte tadellos, jenem nicht so rübigen Rübenbahnhof an der Schnellfahrstrecke - denn Kassel Höbüf ist woanders. Der Erfolg dieses Umstiegs war vermutlich aber auch einer Umstiegszeit von 20 Minuten geschuldet. Ich sass im Zug, hörte Musik, das einfach grossartige Konzert von Kiasmos and der Citadelle de Sisteron. Starrte aus dem Zugfenster. Und freute mich bald wieder in meiner Wohnung zu sein.
Und dann fiel ein Baum. So grob zwischen Celle und Eschede2, jenem Ort, der untrennbar mit dem ICE verbunden ist. Auf die Oberleitung. In meinen Reiseweg.
Ich habe das Gefühl, als hätte ich diesen Baum herausgefordert. Möllenkamp, Lob an die Bahn? Das wollen wir doch mal wissen. Als hätte mein Toot die Säge an den Ast angelegt. Mein Toot selbst, ich persönlich. Zu nah lag das Absenden an der Mitteilung des Ungemachs durch den Zugbegleiter. Es wurde ein unerwarteter Hamburgaufenthalt. Zwar nur Harburg, aber immerhin. Denn in Hannover beschied man uns: “Fahrgäste nach Uelzen und Lüneburg bleiben bitte bis Harburg im Zug”. Celle noch von Hannover aus erreichbar war. Mit Umstieg zwar, aber weniger umwegbehaftet. Gnade des südlicheren Wohnens.
Der geneigte - oder auch geplagte - Fernverkehrsnutzer weiss jetzt was passiert: Umleitung über Verden und Rotenburg. Übertrieben gesprochen fast bis nach Bremen, dann über eine eingleisige Strecke nordwärts. Über die sich der komplette Nord-Süd-Fernverkehr drängelt. Rollbahn3. Harburg. Umstieg nach Lüneburg.
Auch hier gilt: Es ist niemals der Regionalexpress, den man hier erwischt. Nie! Prinzip des Universums. Naturgesetz. Es ist immer die Regionalbahn. Mit Halt an allen Unterwegsbahnhöfen. Wirklich allen! Meckelfeld, Stelle, Ashausen, Winsen, Radbruch, Bardowick Lüneburg. Statt nur einmal kurz die Fahrt in Winsen zu unterbrechen. Und mit jedem Kreischen der Bremsen sagt einem der Zug: “Hast wieder den falschen Metronom erwischt”. Und in Gedanken antwortet man “Ich wollte gar nicht hier sein, nicht hier sitzen. Hier nicht diesen Text schreiben. Aus so vielen Gründen. Aber das verstehst Du nicht, Zug… “. Und fragt sich warum man in Gedanken einem Zug anwortet, obwohl dieser nicht mal Wackelaugen hat.
Aus Schuhekicken um 19:20 Uhr wurde dann Schuhekicken um und bei 21:00 Uhr. Und ins Bett fallen, nach dem dieser Tag um 4:45 mit einem Klingeln begann.
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Ich bin einmal mit dem TGV von Metz nach Paris gefahren. Angenehmes Erlebnis. Sehr angenehmes. ↩
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Demjenigen, der auf Mastodon mal auf das Streckeninfoportal der Bahn Infra Go gelinkt habe, bin ich so unendlich dankbar. Informiert steht es sich doch gleich viel besser auf einem kalten Bahnhof rum. ↩
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Die Strecke von Hamburg nach Wanne-Eikel (siehe Wikipedia ) ↩