Das war also mein erstes Mal. Bin jetzt 51. Ich habe glaube ich jede Wahl seitdem ich ich 18 Jahre bin auch als Wähler mitgemacht. Ganz sicher bin ich mir gerade nicht. Aber wenn ich eine verpasst habe, dann fehlen sehr wenige. Bei den Bundestagswahlen war ich glaube ich auf jeden Fall bei jeder Wahl dabei. In der Tendenz dürfte mir eher eine Europawahl fehlen.

Leider gibt es ja kein Bonusheftchen. Kein Frequent Voter Programm. Nun sind die Schlangen auch nicht so lang, als dass es eine Priority Lane geben müsste. Zumindestens waren sie es am Sonntag bei uns im Wahllokal nicht. Und Extrastimmen für Frequent Voter wären ja schon sehr arg undemokratisch. Und wieviel Extrastimmen würde man jemanden geben, die oder der vor 1931 geboren wurde und seit dem bei jeder Wahl mitgewählt hat? HON Voter Circle oder Diamond Voter Club? Mit ultrakomfortabler Wahlkabine?

Mein erstes Mal

Nein, ich habe das erste Mal bei einer Wahl als Wahlhelfer mitgemacht. Das Ganze war eine spontane Idee an einem Abend und in der Mittagspause des folgenden Tages habe ich mich dann mittels eines Formulars bei der Stadt Lüneburg gemeldet. Das war so um und bei jenen Tagen, an denen die Neuwahlen ruchbar wurden. Ich fand es bei dieser Wahl aus irgendeinem Grunde plötzlich besonders wichtig, zu helfen. Es war eine merkwürdige Wahl. Noch nie hatte ich bei einer Bundestagswahl vorher den Gedanken: „Verdammt noch mal, endlich ist die Wahl vorbei“. Noch nie vorher fühlte ich mich seelisch nach einer Bundestagswahl seelisch so erschöpft. Aber damals war gerade die Diskussion über den Zeitpunkt der Bundestagswahl entbrannt, über den Tag des Misstrauensvotums.

Es war zu jener Zeit als ein Politiker unbedingt sofort die Neuwahlen hatte, alle anderen vor Fehlern warnten, wenn es zu schnell gehen würde. Jene die vor Fehlern warnten, sollten am Ende recht behalten. Die Briefwahlunterlagen in Lüneburg hatten beispielsweise zwei Fehler bei Namen von Politikern. Es waren aber eher kleine Fehler. Frau Connemann1 von der CDU war glaube ich ein e bei der Auflistung für die Zweitstimme abhanden gekommen, Frau Dr. Verlinden von den Grünen ein r in gleicher Spalte. Ich hoffe wirklich, dass es bei solchen Kleinigkeiten bleibt.

Ich hörte erst mal nichts. Noch war der Bundestag ja nicht aufgelöst. Eine ganze Zeit später bekam ich dann die Frage per Post, ob ich immer noch zur Verfügung stehen würde. Ich bestätigte dies. So lag dann irgendwann die Berufung in dieses Ehrenamt in meinem Postkasten mit Bitte um Rückmeldung. Mein Wahlvorstand versucht mich zwar zweimal zu erreichen, aber das eine Mal befand ich mich gerade auf der Rückreise aus Frankfurt, das andere Mal war ich gerade … nunja … anderweitig unabkömmlich.

Ich habe tatsächlich das erste Mal beim Vorbereiten des Wahlraums mit ihm gesprochen, vorher lief das per Kurznachrichten. Ist so eine Geschichte, die sich durch mein Leben zieht, ich trage ständig zwei Telephone mit mir rum, aber wenn dann mal ein wichtiges Telephonat kommt, is gerade irgendwas … oder das Telephon ist noch von einer Telephonkonferenz vorher auf “Do not Disturb”. Hier war es wieder mal nicht anders.

Übernommen habe ich dann die Vormittagsschicht. Zumindestens hier in Lüneburg werden für jeden Wahlkreis genügend Leute benannt, damit man das locker in zwei Gruppen unterteilen kann. Für meinen Wahlbezirk waren dies 9 Leute. Die maximale Zahl.

Als ich dann aufgewacht bin um um 07:30 beim Wahllokal zu sein, habe ich mich dann gefragt, ob das wirklich so eine clevere Idee war. Ich war müde und ich habe mir gleich als erstes dann auch beim Tische verrücken die Finger geklemmt. War halt noch nicht wach genug, nicht schnell genug. Ist aber nix passiert. Hände sind noch dran.

Ich will gar nicht über die Ereignisse schreiben des Tages, das ist irgendwie ja auch Wahlgeheimnis, wobei diese Ereignisse eigentlich eher Beobachtungen waren. Es kommen da hunderte Leute in Wahllokal, somit bleibt es gar nicht aus, dass man dort vieles wahrnimmt.

Ich möchte nicht einmal darüber spekulieren, wie die einzelnen Menschen gewählt haben. Leider gab es in “meinem” Wahlbezirk einen sehr hohen Prozentsatz Wähler einer in Teilen als gesichert rechtsextrem geltenden Partei. Ich muss mich mit dem Gedanken abfinden, das ein nicht unerheblicher Teil meiner Nachbarn diese Partei gewählt haben. Wie ich damit für mich selbst umgehen soll, das weiss ich noch nicht.

Der richtige Tiefschlag kam einen Tag später, als ich die Ergebnisse jenes Ortes gehört habe, in dem ich gross geworden bin. Ich dem ich zur Schule gegangen bin. Zu dem ich ein sehr gespaltenes Verhältnis habe. Vielleicht schreibe ich irgendwann mal davon hier. Trotzdem kam in mir ein ein Gefühl der Scham auf. Ich sprach in den folgenden Tagen mit meinen Geschwistern darüber. Wirklich verwundert hat das Ergebnis aber niemanden.

Worüber ich schreiben möchte, sind eigentlich eher allgemeinere Beobachtungen, die nichts mit einem einzelnen Menschen zu tun haben. Für mich war das auch ein Blick hinter die Kulissen. Erstmalig.

Artefakt aus der Vergangenheit.

Ich finde es ja wirklich faszinierend, das Wählen immer noch so eine ziemliche Low-Tech Veranstaltung ist, zumindestens was das Wählen an sich angeht. Eine Urne, Papier und Stifte … irgendwelche Stifte. Ausgezählt wird per Hand. Wie bei einer Klassensprecherwahl. Wie bei einer Betriebsratswahl. Nur alles sehr viel grösser.

Es hat sich ja bewährt. Ich habe immer den Eindruck, das sobald man auch nur einen halben Dez von diesem Low-Tech-Ansatz abweicht, gibt es irgendwie Ärger. Ich erinnere mich nur zu gut, an Menschen die auf Lochkarten starrten um den Wählerwillen aus einem sich an der Lochkarte festklammernden Papierschnitzel herauszulesen. Ich bin froh, das man heute mit einer Chipkarte zum Doc geht und nicht mehr ein Heft mit Krankenscheinen. Ich bin froh, das ich heute kaum noch eine Uhr stellen muss. Ich bin froh, das ich viele Sachen im Internet bestellen kann. Ich bin froh, das mein Auto mich bei langen Autobahnfahrten entlastet. Aber bei Wahlen möchte ich es gerne weiter so low-tech wie bisher haben.

Ich habe dieses mal mehr über die Wahl als Vorgang nachgedacht. Das hing nicht nur damit zusammen, das ich das erste mal bei einer Wahl geholfen habe. Sondern auch weil ich kürzlich eine Prüfung für den Kurs “Information Security Officer” beim TÜV abgelegt hab und ich je mehr ich darüber nachdenke Wahlen einfach für ein hervorragendes Beispiel halte, um viele Konzepte der Informationssicheerheit daran mal gedanklich auszuprobieren. Gerade weil Wahlen eben nicht Technik sind, weil man nicht gleich in die Falle rennt, alles aus technischer Sicht zu sehen.

Wählen mit dem Bundstift

Jaja, der Bundstift.2. Hier vielleicht dann doch eine Anmerkung: Es gab schon den Kommentar von einem Wähler, warum ein Bleistift in der Wahlkabine war.

Zunächst einmal … nicht alles, was wie ein Bleistift oder Buntstift aussieht, ist auch ein solcher. Es kann sich auch um einen Kopierstift handeln. Und die Dinger sind garstig. Die standen früher in dem Ruf, je nach Art mehr oder wenig giftig zu sein 3. Heute sind da Farbstoffe der Lebensmittelindustrie drin. Geändert wurde das bei Faber-Castell beispielsweise wohl 1992. Wie auch immer, der Abrieb beim Schreiben geht in Teilen eine Verbindung mit dem Papier ein, die nicht mehr zu lösen ist. Außer man rubbelt die oberste Papierschicht weg und das ist deutlich sichtbar. Der Kopierstift ist damit dokumentenecht.

Das ist aber letztlich völlig egal: Das Gesetz schreibt in §50 der Bundeswahlordnung vor, das ein Schreibstift bereitliegen muss. Es sagt nichts darüber aus, ob das Schreibgerät dokumentenecht sein muss. Tatsächlich ist sogar ein radierbarer Bleistift erlaubt.

Äh, warum das? Weil die ganze Handhabung der Stimme in einen Prozess eingebunden ist. Der Job ist einfach genug, um von einer Person erledigt zu werden, quasi dem Wahlvorstand vormittags und dem stellvertretenden Wahlvorstand nachmittags. Die Wahllokale haben 10 Stunden auf, mein Wahllokal hatte etwas über 600 Wahlberechtigte, macht ene Minute pro Wähler. Ist zwar den ganzen Tag über ein wenig stressig, aber würde aber meiner Vermutung nach klappen. Es dauert am längsten, die Person aus dem Wählerverzeichnis herauszusuchen, wenn diese ihre Benachrichtigung vergessen hat. Aber das kam gar nicht so häufig vor. Man macht den Job aber nicht alleine.

Dennoch sind es bis zu 7 Beisitzer. Und das ist der Punkt: Die sitzen dabei. Nicht alle gleichzeitig, wir hatten zwei Schichten. Aber 4 oder 5 Leute waren bei uns jederzeit zugeteilt. Beim Auszählen waren alle da. Am Ende haben wir auch alle unterschrieben.

Die Wahlurne, die ganzen Zettel sind nie ohne Beobachtung, immer gleich durch mehrere Leute. Bei Stimmabgabe wird der Wähler im Wählerverzeichnis abgehakt. Bei uns lief ungefähr so ab: Ein Beisitzer kontrollierte die Wahlbenachrichtigungen, überprüfte die Nummer des Wahllokals (wir hatten nebenan ein zweites Wahllokal und der Gang in das falsche war durchaus nicht so selten), die erste Person las der Schriftführerin von der Wahlbenachrichtigung die Nr. im Wählerverzeichnis vor (wichtig, nur die Nummer, Name ist eine PII und wird nicht geäussert. Datenschutz und so), der Stimmzettel wird ausgegeben, Wahl findet statt, die Schriftführerin hakt das ab und es war bei uns sogar noch zusätzlich jemand da, der den Wahlraum beobachtete (“Bitte in der Wahlkabine knicken”, “Sie haben das falschrum geknickt … Ihre Stimme zeigt nach aussen4. Falten sie das bitte in der Wahlkabine noch mal”, “Bitte nur eine Person in die Wahlkabine” und gegebenenfalls auch ein “Nicht photographieren in der Wahlkabine”). Stimmzettel wird in die Verschlossene Urne eingeworfen. In den Vorgang der Wahl sind auch auf Helferseite mehrere Personen involviert.

Ich finde sowieso, dass diejenigen, die Angst haben mit einer bestimmten Art Stift zu wählen, das Problem eh nicht zu Ende denken. Angenommen, ich habe einen unauslöschbaren Quantumnanosuperstift, der meine Stimme in für alle Zeiten in das Raumzeitkontinuum frässt, was hindert mich daran, den Stimmzettel verschwinden zu lassen. Oder einfach noch 30 andere Wahlzettel dort reinzustecken? Der Stapel mit den Stimmzetteln liegt ja vor einem.

Nun, es ist wie bei Informationssicherheit. Es gibt technische Maßnahmen und es gibt organisatorische Maßnahmen, die ich nach einer Risikobewertung umsetzen kann, um Schwachstellen zu addressieren. Und organisatorische Maßnahmen sind zuweilen effektiver und kostengünstiger als technische Maßnahmen. Eben diese organisatorischen Maßnahmen bei einer Wahl sind umfangreich.

Der unauslöschbare Stift, der sich meinetwegen auf molekularer Ebene mit dem Papier verbindet, ist dann unnötig, weil er auch mögliche Gefährdungen nicht addressiert, die dafür von organisatorischen Maßnahmen deutlich besser kontrolliert werden.

Eine organisatorische Maßnahme ist beispielweise, das die ganze Wahl öffentlich ist. Nur der Vorgang der Stimmabgabe ist geheim. Wer Lust drauf hat, kann sich im Rahmen bestimmter Grenzen von morgens 8 bis zum Ende der Auszählung in den Wahlraum setzen und zugucken (Wer zu jedem Wähler sagt “Bitte auch schön Partei ABC wählen” wird ganz schnell zunächst auf die entsprechende Wahlordnung und danach des Raums verwiesen.

Auch das man wie gesagt als Wahlhelfer nicht allein sitzt, das ist eine organisatorische Maßnahme. Das die Stimmabgabe abgehakt wird, ist eine organisatorische Maßnahme. Denn dadurch kann die genaue Anzahl der abgegebenen Stimmen gezählt werden und wenn zu viel oder zu wenig vorhanden sind, hat man offensichtlicherweise ein Problem. Die Stimmen werden auch nicht nur einmal gezählt, sondern mehrfach in unterschiedliche Richtungen und Kombinationen kreuz und quer. Und das kann dauern. Denn welche Zählung war richtig. Welche falsch? Ist wie mit zwei von einander abweichenden Uhren. Man weiss nicht wie spät es ist. Das weiss man nur mit einer oder mindestens drei Uhren. Verzaehlen ist da mithin extrem schwer, man mag sagen unmöglich, allerdings bin ich lang genug auf der Welt, um zu wissen, das die Natur beim Wort “unmöglich” nur leise vor sich hin kichert.

Und alle müssen die gleiche Anzahl Stimmen am Ende ergeben, die dann auch mit den Haken im Wählerverzeichnis übereinstimmen müssen. Am Ende werden die Stimmzettel dann noch sortiert, verpackt, und versiegelt und an die Gemeinde weitergegeben. Das ist alles ein furchtbar formaler Prozess, eben die organisatorischen Maßnahmen zur Absicherung des Wahlprozeses.

Und dann gibt es da ja auch noch §107 und §108 des Strafgesetzbuches, die durchaus folgenreich strafbewehrt sind … bis zu fünfmal, teilweise zehnmal Singen für die Familie. Wahlrechtsverlust sowohl passiv als auch aktiv ist da auch drin. Das Wahlrecht hat durchaus sehr scharfe Zähne in Deutschland.

Und viele weitere Organisatorische Maßnahmen habe ich sicher in diesem Artikel nicht aufgeführt, weil ich sie vergessen habe oder sie mir nicht aufgefallen sind. Ich habe Stimmzettel ausgeteilt. Und darauf habe ich mich konzentriert.

Will ich das wirklich digital?

Ja, klar … wahrscheinlich lassen sich Wahlen digitalisieren. Doch wird man die Sicherstellung der Grundwerte Vertraulichkeit, Verfügbarkeit und Integrität technisch aufwändig implementieren müssen. Gar nicht zu reden von weiteren Sicherheitszielen wie Authentizität, Nichtabstreitbarkeit und Zurechenbarkeit, ohne dabei das Wahlgeheimnis zu unterminieren. Das Problem ist mit einem Blatt Papier, einem Stift und jeder Menge ehrenamtlicher Mitarbeiter eigentlich doch ziemlich gut gelöst.

Wenn ich so recht überlege, weiss ich auch gar nicht, ob ich es toll finden soll, wenn ich einfach auf meinem Mobiltelephon an einer Wahl teilnehmen kann. Zum einen ist ein solches Telephon eine erhebliche Zugangshürde (sowohl finanziell als auch bei der Fähigkeit, dieses zu benutzen.).

Zum anderen denke ich auch, das die aktive Handlung irgendwo hin gehen zu müssen oder sich um Briefwahlunterlagen kümmern zu müssen, das sich damit befassen eher fördert, als eine Nachricht auf Telephon gepushed zu bekommen, man könne doch nun in einer App wählen. Wählen zu dürfen ist aus meiner Sicht ein Grundrecht, das so wichtig ist, das es besondere Behandlung bei seiner Ausübung verdient.

Was dabei rauskommt, wenn man im Internet abstimmt, sah man ja bei bei Boaty McBoatface. Und ja, ich weiss … ich bin da altmodisch …. ich schreibe ja auch noch Telephon, Photographie und Delphin mit ph.

Buntstift - revisted

Zurück zu den Leuten, die Angst vor dem Bleistift haben, der wahrscheinlich nicht mal einer ist. Sie bestehen dann auf einem Kugelschreiber. Wobei mir als Mensch, der zuweilen in rekursive Warum-Schleifen gerät, dann gleich der Gedanke kommt: „Und wer sagt Dir, dass wir die Kugelschreibermine nicht mit einer radierbaren Mine ausgetauscht haben?“. Wenn schon so denken, dann bitte richtig und nicht gleich am Anfang stoppen.

Ich hege ja die Vermutung, dass da vieles auch irgendwelchen Foren kommt, wo es dann gedankenlos übernommen wird, aber gar nicht darüber wirklich nachgedacht wird. Wenn man mit so nem Unfug schon anfängt, müssten man das wirklich deutlich weiter denken. Und nen eigenen Stift mitnehmen. Das ist Mühe. Sich hinsetzen und die Wahl beobachten. Das ist Mühe. Sich über den Stift aufregen. Das ist keine Mühe. Das ist irgendwas anderes. Ich weiss nicht so recht, was.

Wer da wirklich Angst hat, müsste dann ihren oder seinen eigenen Stift mitbringen. Erlaubt ist es. Ich empfehle einen schönen Füllfederhalter mit Pelikan Fount India5. Oder eine Feder mit einem Tintenfässchen mit Scriptol. bWenn man schon so drauf ist, bitte schön dann doch wenigstens mit Stil.

Denn in §50 der Bundeswahlordnung steht nicht, dass man den bereitgelegten Stift nutzen muss. Es ist einfach völlig egal, was für einen Stift man benutzt, solange eindeutig erkennbar ist, was man gewählt hat und der Stift nicht soweit durchsifft, das man auf der anderen Seite erkennen kann, wo das Kreuz ist. Weil die Wahl nun mal geheim ist … das gilt auch für vorwitzige durchsiffende Permanentmarker oder so …

Wie absurd das eigentlich alles ist, kann man sich auf der anderen Seite mal überlegen: Bei der Bundestagswahl 2017 gab es 650.000 Wahlhelfer in etwa 88000 Wahlvorständen. Das sind bummelig 0,81% der Bundesbevökerung. Glaubt da echt jemand, dass eine großangelegte Radiergummiverschwörung länger als nur 1 Attosekunde verborgen bleibt? Wenn es oft schon ein Problem ist, etwas geheim zu halten, wenn nur 2 Leute von etwas wissen. Also sorry.

Es sei mir also hier erlaubt, zu erwähnen, dass ich das mit einem Gewissen „Häh“ im Kopf wahrgenommen habe. Aber es ist das Recht eines jeden, so zu denken und dementsprechend zu handeln. Und ehrlich … glauben diese Menschen wirklich, das wir nichts besseres zu tun haben, als der Stimme auf dem Fall zu den anderen Stimmzetteln in der Urne hinterherzuhechten, um mit dem Radieren des Kreuzes auch den Wählerwillen verschwinden zu lassen? Das wir nur darauf warten, das jemand einen Bleistift benutzt? Um gegebenfalls dafür ins Verliesonarium zu gehen? Sorry, gehts noch?

Mich hat an meinem Vormittag da eine ganz andere Sorge herumgetrieben: Meine größte Angst bei der Wahl war, jemanden versehentlich zwei Stimmzettel zu geben, was zu dem Ritual führte, das ich jeden einzelnen Stimmzettel zwischen Daumen und Zeigefinger nahm und die beiden Finger gegeneinander rieb, bevor ich ihn ausgegeben habe, um Stimmzettel sicher zu trennen.

Photographieren in der Wahlkabine

Wir sind explizit darauf hingewiesen worden, das Photographieren in der Wahlkabine zu unterbinden. Denn jedwedes Filmen oder Photographieren ist in der Wahlkabine ist verboten. Das Photographieren des Stimmzettels bei der Briefwahl unterliegt keinen solchen Vorschriften. Das zu regeln wäre auch schlecht möglich. Es müsste ja quasi im Haus überprüft werden.

Die Vorschriften sind echt streng, es gibt viele Gründe, aus denen ein Wahlvorstand einen Wähler zurückweisen muss. Ja, nicht kann, MUSS. Das Wahlgeheimnis während des Wahlvorgangs ist auch für den Wähler kein Recht, es ist eine Pflicht. Was man davor oder danach macht, ist völlig egal. Wobei eine ganze Reihe davon nicht bedeuten, das man dann gar nicht mehr abstimmen kann, sondern das man gegebenenfalls nach Vernichtung des alten Stimmzettels mit nem neuen noch mal abstimmen darf. Photographieren in der Wahlkabine ist so ein Fall.

Klingt bescheuert. Denn was hindert mich denn daran, noch mal genauso abzustimmen, wie auf dem Photo?

Es ist aber nicht bescheuert. Wahr ist aus Sicht der Wahl nur das, was sich auf dem Wahlzettel befindet. Was man danach sagt oder schreibt oder äussert, ist ohne Belang. Es kann wahr sein … oder auch nicht. Aber die Wahrheit des Wahlzettels soll geheim bleiben. Es gilt der Grundsatz für die einzelne Stimme: “Was in der Wahlkabine passiert, bleibt in der Wahlkabine”. Wie der einzelne Mensch gewählt hat, wird in dem Moment unsichtbar, wenn die Stimme in die Urne fällt. Die Stimme, die letztlich zählt, muss geheim abgegeben werden. Und es Aufgabe des Wahlvorstands, das sicherzustellen.

In den ruhigen Minuten des Tages fiel mir dazu folgendes Szenario ein: Nehmen wir eine Lebenspartnerschaft. Partner A ist glühender Fan der Partei Y, Partner B ist eher normal politisch aktiv und würde lieber Partei Z wählen, Partner A droht Partner B mit einem erheblichen Ungemach, wenn Partner B nicht Partei Y wählt. Wie stellt man sicher, das Partner B wirklich Partei Y wählen kann? Eben durch die geheime Wahl.

Die ganzen Regeln bezüglich der Wahl, dass man nicht außerhalb der Kabine wählen darf, dass man nicht außerhalb falten darf, das man nicht photographieren darf, das man nicht auf der anderen Seite schreiben darf “Ich habe Y gewählt” dienen im Grunde genommen dazu, jeden zu einer geheimen Wahl zu zwingen, so das das Geheimhalten einer Stimme nicht als Sonderfall gilt und dem Wähler die Geheimhaltung nicht negativ angekreidet werden kann, vor wem auch immer.

Partner B kann Partner A sagen “Ich habe Y gewählt”, hat aber in Wahrheit das Kreuz bei Z gemacht. Da Nichtgeheimhaltung im Wahllokal bei Abgabe des Stimmzettels keine Option ist, kann Partner A Partner B aus der Geheimhaltung keinen Strick drehen, weil “is ja Vorschrift”.

Das Partner B Partner A ganz dringend verlassen sollte, ist eine ganz andere Frage … aber das ist nicht im Regelungsbereich der Wahlordnungen. Was schon im Regelungsbereich ist: Wählernötigung ist nach §108 StGB strafbar. In schweren Fällen bis zu zehnmal singen.

Daher: Wenn jemand photographiert oder falsch herum faltget oder nicht in der Wahlkabine wählt, laesst man nicht zu, das die Stimme eingeworfen wird und wiederholt die Wahl dieser Person so lange Stimmzettel, bis man sicher ist, das die Stimme geheim abgegeben worden ist. Die nicht geheimen Stimmzettel müssen wie gesagt dann vom Wahlvorstand vernichtet werden. Stimmzettel hat man ja einige da. Und wenn jemand damit eine Denial of Service Attacke starten will … man kann auch welche zusätzlich kommen lassen.

Ist wie beim Blutspenden. Nur umgekehrt. Beim Blutspenden gibt es immer eine Stelle in der man in einer Art Kabine ankreuzen muss, ob die Blutspende verwertet werden kann oder verworfen werden soll. Die Blutspende wird dann trotzdem abgenommen, aber verworfen, sollte man dies angekreuzt werden. Die Idee dahinter ist einfach. Beispiel: Man geht mit dem Verein Blutspenden, weiß aber dass man einen der Ausschlussgründe erfüllt. Man möchte aber keine Fragen provozieren, in dem man nicht mit zum Blutspenden geht und man will auch nicht den Grund auf den Bogen schreiben, den man auszufüllen hat. Dieses geheime Kreuz bietet Menschen die Möglichkeit eine Blutspende aus dem Prozess herauszuhalten, wenn sie wissen, dass es einen Grund gibt, das es besser ist, die Spende gleich wegzuwerfen, ohne ihn irgendwo preisgeben zu müssen.

Sozialer Druck existiert. Geheimhaltung als Standard nimmt diesen Druck weg. Insbesondere bei Dingen, die die innerste Persönlichkeit betreffen, dazu zählen die Gründe gegen eine Blutspende genauso wie die Stimme bei einer politischen Wahl.

Die nächste Generation

Was mich zuversichtlich macht: Es waren doch einige Kinder dabei, die Ihre Eltern begleitet haben. Einer ganzen Reihe von Kindern hat man angesehen, dass sie dieses merkwürdige Ritual ihrer Eltern mit einer gewissen Spannung verfolgt haben. Ich kann mich an die gleiche Spannung erinnern, als ich meine Eltern zum Wahllokal begleitet habe. Und die meisten wollten es sich nicht entgehen lassen, den Eltern beim Einwerfen des Stimmzettels zu “helfen”. Wenn diese Faszination anhält, dann ist das ein gutes Zeichen für die Gesellschaft.

Vielleicht ist da noch eine Parallele zum Zähneputzen. Vielleicht wird es nicht nur braun, wenn man es nicht tut. Sondern je eher man lernt, dass man es regelmäßig tun sollte, wird es auch weniger Probleme mit Karies am demokratischen Zahnschmelz der Gesellschaft geben.

Gespendet

Apropos nächste Generation. Es gibt ja für die Arbeit als Wahlhelfer eine Aufwandsentschädigung. In Lüneburg sind das für die Beisitzer 50 Euro. Ich habe das Geld einen Tag später gespendet. An die Kindertafel in Lüneburg. Ich finde die Arbeit sehr wichtig, besondere da ich das Gefühl habe, das nach dem Wahlergebnis vom 23.2 die Kälte in Deutschland noch mehr hochsteigen wird. Und das trifft immer die Kinder. Ich werde das auch bei den nächsten Wahlen, wenn ich eingesetzt werden sollte, so halten.

Denn sicher ist es nicht, dass man jedes Mal als Wahlhelfer eingesetzt wird, insbesondere weil sich mittlerweile wohl mehr Leute melden als gebraucht werden. Das Formular zur Meldung hatte die Stadt Lüneburg wohl schon recht früh wieder aus ihrem Auftritt rausgenommen.

Nächstes Mal

Ich werde auch nächstes Mal wieder antworten, das ich für eine Wahlhilfe zur Verfügung stehe. Das wäre in Niedersachsen im Herbst 2026 die Kommunalwahl, die Landtagswahl ein Jahr später. Mir hat es - so seltsam es klingt - wirklich Spaß gemacht, nicht nur den ganzen Sonntag irgendwie auf 18 Uhr zu warten und mich danach maßlos aufzuregen, wenn diese Politiker sich dann in der Berliner Runde zeigen (ich hätte jetzt beinahe Bonn geschrieben). Ich hätte das schon viel früher machen sollen.

Die vorherigen Generationen

Ich will am Ende vielleicht doch über eine Beobachtung schreiben, weil ich sie einfach großartig fand: Es kamen alte Menschen mit Rollatoren zur Wahl. Menschen, denen es sichtlich schwerfiel, zu laufen. Denen selbst der relativ kurze Weg sichtlich Probleme bereitet hatte. Sie sind dennoch zur Wahl gekommen.

Seitdem fällt mir eigentlich zum Thema Nichtwähler eigentlich nur noch ein: “Äh, was war noch mal Dein Grund, warum Du nicht gewählt hast?”.

Postskriptum

Ich habe bei dieser Wahl übrigens gelernt, das man beim Wahlbüro um die Zusendung neuer Umschläge bei der Briefwahl bitten kann. Warum ich das weiss, sag ich nicht ….


  1. Ja, jene Frau Connemann, die 2009 den wissenschaftlichen Dienst des Bundestages mit der Frage beschäftigt hat, ob außerirdisches Leben existiert. Wobei sie nicht die Einzige war, die gefragt hat … eine vorherige Frage eines Grünen-Politikers wurde laut verlinktem Dokument mit “Eine Landung Außerirdischer auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland hält die Bundesregierung nach heutigem wissenschaftlichen Kenntnisstand für ausgeschlossen.” beschieden. Ein FDP-Politiker fragte nach UFO-Sichtungen. Namen sind leider geschwärzt. Ich halte übrigens nicht die Frage für bescheuert, es gibt keine blöden Fragen, nur blöde Antworten. Ich fand es nur seltsam, dass man das Gutachten nicht veröffentlichen wollte. 

  2. Ja, ich weiss es ist ein ganz und gar schlechtes Wortspiel. Ich weiss wo die Tür ist. Ich bring mich selber raus. 

  3. Es war früher üblich, als die Stifte noch wirklich garstig waren, eine Kappe über den angespitzten Kopierstift zu stecken, um sich damit selber nicht zu verletzen. Mein Vater, der in den 1950 und 1960 in die kaufmännische Lehre gegangen war, erzählte mir von diesen Kappen als ich mal eine solche Kappe bei ihm gefunden habe, sie aber für einen Fingerhut meiner Oma als zu klein hielt. 

  4. Laschet hat 2021 den Wahlzettel falsch herum gefaltet. Eigentlich hätte das der Wahlvorstand ablehnen müssen, was aber ziemlich absurd gewesen wäre als Kanzlerkandidat der Partei, de er auch gewählt hat. 

  5. Fount India ist extrem wartungsintensiv. Noch deutlich wartungsintensiver als Pelikan 4001 schwarz-blau (meiner Lieblingstinte). Und selbst die benutze ich nicht mehr als Alltagstinte, weil sehr wartungsintensiv. Die 4001 ist zwar eine Eisengallustinte, aber formal nicht dokumentenecht. 

Written by

Joerg Moellenkamp

Grey-haired, sometimes grey-bearded Windows dismissing Unix guy.