Ich hoffe, dass das nicht Anzeichen des Alters sind. In meinem Rucksack befand sich eine Thermoskanne. Wirklich. Ich war bisher immer ein Käufer lokalen Kaffees auf den Bahnhöfen, durch die ich fahre. Das ist vielleicht noch ein Überbleibsel einer Katastrophe des Jahres 1991. Eine Katastrophe, die dazu geführt hat, das zu meinem Abiturzeugnis zwei Studienbücher gibt. Ich weiss nicht, wie das heute ist, aber ich musste mir damaliger Zeit Testate (vulgo: Die Lehrerin oder der Lehrer musste ihren oder seinen John Hancock hinter die Note schreiben) für die einzelnen Fächer holen, zu denen die Lehrkraft meistens noch ein paar (ebenso unerwünschte wie wahrscheinlich korrekte) weise gesprochene Worte von sich gab.
Also lief ich über Tage hinweg mit meinem Studienbuch durch die Schule. In dieser Zeit lag allerdings auch eine Thermoskannenfehlfunktion und so badete mein ganzer Rucksack in Kaffee. Ich hatte damals Kaffee dabei, weil es doch recht weit zwischen meinem Elternhaus und der Schule in Leer war und ich auf meine Fahrgelegenheit doch geraume Zeit am Nachmittag warten musste. Auf jeden Fall benötigtige ich danach ein neues Studienbuch. Na toll.
Nachdem ich aber nun gemerkt habe, dass meine Thermoskanne selbst einen Sturz vom Fahrrad bei 30 km/h aushält, habe ich wieder angefangen eine Thermoskanne mitzunehmen. Nach über 30 Jahren. Ich hoffe nur jetzt inständig, dass ich nicht demnächst anfangen werde, vegane Frikadellen und Kartoffelsalat mitzunehmen. Vielleicht irgendwann sogar noch den Prosecco.
Warum ich wieder unterwegs war? Ich hatte seit langer Zeit wieder die Gelegenheit einen Vortrag vor grosser Runde zu halten. Etwas das ich sehr vermisst habe. Es ging um das Autonomous Health Framework für die Oracle Datenbank. Wirklich sehr interessantes Feature. Solls aber hier nicht drum gehen. Wie gesagt … der Vortrag war in Frankfurt.
Frankfurt ist ja gerade die Distanz, die man mit dem Auto hin- und zurück nicht an einem Tag schafft, wenn man sich an das Arbeitszeitgesetz hält. Wobei, es geht schon …. nach Frankfurt wie ein Bekloppter heizen, in den Raum reinstürmen, den Vortrag runterspulen Verständlichkeit “be damned”, einmal kurz “Noch Fragen?” rufen, aber keine beantworten. Um dann wieder zum Auto zu eilen und mit genauso halsbrecherischer, wie am Rande der jeweiligen geschwindigkeitsbegrenzenden Ausschilderung (Merkt man, das mir in diesem Moment ich mir unsicher war, was die Mehrzahl von Limit war? Ich habe später nachgeguckt, und fand, das Limite - obschon richtig - irgendwie sich nicht richtig anfühlt)
Fliegen? Fliegen wollte ich nicht. Ich hatte es mir schon vor der Pandemie zur Regel gemacht, nirgendswo mehr hinzufliegen, wo ich nicht auch einigermaßen gut mit der Bahn hinkomme. Und Frankfurt zählt zu diesen Orten. Ich plane 1h bis 1.5h für die Fahrt nach Fuhlsbüttel ein. 30 Minuten für die Security. Da bin ich schon sehr weit Richtung Frankfurt. Ich schäme mich tatsächlich ein wenig dafür, wie oft ich in der Vergangenheit nach Frankfurt geflogen bin. Und seit dem es nicht mehr so ein Gebummel auf der Strecke nach dem Erreichen von Würzburg ist, zähle ich sogar beinahe München in diesen Bereich.
Also bin ich auch seit langer Zeit beruflich wieder mal mit der Bahn gefahren. Ich kam mir wie ein Alien vor, denn meiner Beobachtung nach war ich der einzige Mensch im Wagon, der eine Maske getragen hat. Ich bin immer noch Verfechter von #DieMaskeBleibtAuf. Und so saß ich in dem kleinen Bereich an der Zugspitze gleich hinter dem Lokführer und ärgerte mich ein wenig darüber, dass man durch die Glasscheibe zum Führerstand nicht durchgucken konnte. Ich weiß nicht, ob das immer noch geht, aber früher waren die zwischen opak und durchsichtig elektrisch umschaltbar. Oder genauer: Stromlos sind diese Scheiben undurchsichtig. Das hatte den interessanten Effekt das man als Passagier schnell wusste, wo auf der Strecke Berlin-Hamburg die stromlosen Schutzstrecken sind. Um Streckenabschnitte elektrisch zu trennen sind da Teile der Strecke stromlos, der Zug fährt dann durch seine Massenträgheit weiter in den wieder stromführenden Bereich. An genau den Schutzstrecken wurde die Glasscheibe dann undurchsichtig, da der Zug für einen Moment keinen Strom hat
Die Maske aufbehalten. Geklappt hat das am Ende nicht. Maske und Mikrophon haben sich am Ende nicht vertragen. Ich stand mit diesem ohnehin auf Kriegsfuß. Ich weiß nicht welche Richtcharakteristik dies hatte, vermutlich Keule, denn der einzige Weg damit konsistent verstärkt zu sprechen, war die Michael Winslow-Methode. Keule. Vielleicht, das einzige, für das dieses Stück Plaste, Elaste und Metall verwendbar war. Die Maske musste dann doch runter. Ich hatte zu viel Arbeit in die Slides gepackt, um aus meinem Vortrag einen Kampf mit dem Sitz der Maske zu machen. Ich habe also nicht nur meinen ersten Vortrag vor großer Runde seit langer gehalten, sondern ich habe diesen auch das erste Mal gefühlt nackt gehalten. Es fühlte sich … nun ja … schwierig an, komisch an. Und mein Puls zu der Zeit war …. nochmal nun ja … ein wenig hoch. Geklappt hat es anscheinend trotzdem und niemand hat gemerkt, dass ich mich da vorne nicht so ganz wohl fühlte. Wahrscheinlich muss ich mich daran gewöhnen.
Die Bahn hat auf beiden Fahrten ihr Bestes gegeben: Seit der Hinfahrt ist die Frage geklärt, was Triebwagenführer machen, wenn die Natur ruft. Naja, das gleiche, was die Fahrgäste auch machen …. sie gehen zur Bordtoilette. Natürlich nicht wenn der Zug fährt. Der Sicherheitsfahrschalter würde diesem Treiben ein Ende setzen, vermutlich noch bevor das WC erreicht wäre. Aber wenn der Triebwagenführer den Triebwagenführerstand verlässt, während man wegen eines belegten Gleises vorm Hannoveraner Bahnhof steht, weiß man … das kann gegebenenfalls noch länger dauern. Da bei der Bahn vieles “auf Befehl” läuft (soviel habe ich beim nächtlichen Peterlesky gucken dank Schlaflosigkeit gelernt), vermute ich, dass es dafür einen expliziten Befehl vom Fahrdienstleiter gibt. Vermutlich heißt das Notfallnotdurftverrichtungsausnahmegenehmigungsbefehl … oder WC0 oder so. Wobei das eine interessante Frage aufwirft: Ich weiß, dass Flugzeuge keinen Zündschlüssel haben, wie ist das eigentlich bei Zügen? Kann ich, wenn ich durch die Tür durch bin, nachdem der Tf-Führer sich der Wetwasteabteilung zugewand hat, einfach “YOLO” rufen und dann losfahren, bis mich die nächste Balise in die Zwangsbremsung führt (ja, ich kann/konnte eine ganze Zeit wirklich ganz schlecht schlafen, ich habe viele Videos geguckt)?
So richtig aufgedreht, hat die Bahn auf der Rückfahrt, auf der so gar nichts geklappt hat: Ich stand am Bahnhof und bekam vom Navigator angezeigt (Navigator erscheint mir so unpassend bei einem Fahrzeugtyp, der von Stahl geführt auf einer vom Fahrdienstleiter vorgegebenen Strecke fährt, als käme da ein Ausruf “Bei der nächsten Weiche links halten” und einfach zurücksetzen darf man ja auch nicht wie Wolfsburger Fahrgäste schon häufiger bemerken durften, wenn der Zug einfach mal an diesem Ort vorbeigerauscht ist), das die Strecke wegen einem Feuerwehreinsatz gesperrt hat. Meistens ist das ein Euphemismus für ein Drama mit ebenso traumatisierenden wie unappetitlichen Konsequenzen. Ich muss mit meiner Rückfahrt in die Spätauswirkungen eines solchen Dramas geraten sein. Der Navigator zeigte 40 Minuten Verzögerung an in einer Nebenanmerkung, die der Infopoint auf Nachfrage nicht finden konnte, weil ich etwas darüber irritiert war, dass der Zug an sich immer noch als “pünktlich” bis Lüneburg angezeigt worden ist. Die Mitteilung verschwand zwar einige Minuten vor Abfahrt. Bedeutete aber nicht, dass irgendwas da pünktlich abgefahren ist. Dort, wo mein Zug mit der Endstation Hamburg stand, stand auch ein Zug mit Endstation Hamburg. Nur leider einer ohne Zwischenhalt in Lüneburg. Ich hätte diesen nehmen sollen, wie sich später herausstellen sollte.
Auf dem anderen Gleis des Bahnsteigs stand ein in Regenbogenbanderolenssteifendingsda (dieser üblicherweise rote Streifen) gekleideter ICE nach Dortmund und mein Zug hatte keinen Platz. Mein Zug sollte nach Berlin-Gesundbrunnen gehen, woran der geneigte Beobachter vielleicht merkt, dass ein Umstieg (in Fulda in meinem Fall) nötig war und mich die Frage des richtigen Zuges an diesem Gleis ein wenig pressierte. Irgendwie hat die Bahn es dann doch geschafft, dieses Chaos auseinander zu sortieren, wir kamen zwar mit Verspätung raus, aber es hätte noch gaaaanz knapp klappen können mit einem Anschluss in Fulda. Naja, wären da nicht “vor dem Zug fahrende Tingelbahnen” oder “Signalreparaturarbeiten” gewesen. Ich habe dann den Anschluss in Fulda doch nicht bekommen. So stand ich dann vor der Entscheidung: In Fulda bis auf den nächsten Zug warten, der bis Lüneburg fährt, oder den nächsten Zug nehmen, der mich nach Hannover bringt, um dort zu warten.
Eine kurze Inaugenscheinnahme der Bahnhofshalle in Fulda beantwortete diese Frage schnell: Hannover. Was ich nicht wusste, um 22 Uhr klappen auch große Teile der Bahnhofsläden in Hannover zu. Die DB Lounge macht schändlicherweise auch schon um 21:30 zu … nicht das ich dort Zutritt gehabt hätte, die Insignien des dazu nötigen Status (nebst dem Status an sich) habe ich leider schon vor der Pandemie verloren, aber vielleicht hätte ich mir mit all meinen Punkten, die ich so die Zeit über gesammelt habe, diesen doch erkaufen können.
So stand ich dann in Hannover am Bahnhof. Vielleicht war das auch ganz gut. Während ich da so stand, und zunehmend mehr der Person dankbar war, die mich damals auf die Kleidung mit dem flugunfähigen Vogel als Logo hingewiesen hat, fiel mir ein Mann auf, der sich für meine Begriffe etwas auffällig um eine junge Frau bewegte. Ich war mir zu unsicher in der Bewertung der Situation, um sie anzusprechen oder jemanden vom Sicherheitsdienst darauf aufmerksam zu machen. Ich habe mich dann absichtlich so hingestellt, dass es diesem Mann unmissverständlich klar sein musste, das ich sehe, was er macht. Irgendwann verschwand er dann in die eine Richtung, die Frau in die andere Richtung und ich habe mich meinen Füssen und der hochsteigenden Kälte zugewandt, die ihren Weg durch eine Sohle fand, die dem leider wenig entgegenzusetzen vermochte.
Warum fand diese Bahnfahrt mit allen ihren Bahnsteigaufenthalten auch ausgerechnet an einem der kälteren Tage dieses Jahres statt. Ich mach bei all dem, was den Tag so furchtbar in die Länge gezogen hat, der Bahn da keinen Vorwurf. Gegen Feuerwehreinsätze am Gleis kann die Bahn wenig tun, das wäre Aufgabe eines Gesundheitssystems, das sich mehr um die mentale Gesundheit der Leute kümmern könnte.
Auf jeden Fall waren die Züge angenehm leer. Ich vermute, ein Großteil der Fahrgäste, die nicht an dem Problem litten, an einem Ort aussteigen zu müssen, durch den alle ICE von Hannover nach Hamburg zwar durchfahren, aber nicht notwendigerweise anhalten (oder schlimmer noch: Anhalten, aber die Türen nicht öffnen, wie mir das mal mit einem Nachzug von Paris aus auf einer Dienstreise passiert), waren schon durch nicht verspätet fahrende Züge mitgenommen worden. Der Schnieffaktor hielt sich also in sehr engen Grenzen.
Der geplanten Stunde wurde dann schnell noch 20 weitere Minuten hinzugefügt. Irgendwo hatte der Zug, der mich endlich nach Lüneburg bringen sollte, diese verloren, genauso wie ich so langsam begann, die Geduld mit diesem Tag zu verlieren. Es war 0 Uhr als mein Parkschein aus dem Automaten kam, es sah fast so ein bisschen aus, als würde dieser mir so die Zunge herausstrecken “Hey, Torfkopp … hast es nicht am gleichen Tag nach Hause geschafft”. Es fehlen ganz eindeutig Wackelaugen an Parkkartenbezahlautomaten. Wirklich ganz eindeutig. (Ich gebe zu Protokoll: Sollten sich bald Wackelaugen am Parkscheinbezahlautomaten am Parkhaus beim Lüneburger Bahnhof finden … ich wars nicht)
PS: Der Vortrag ist ganz gut angekommen. Das habe ich zwei Tage später erfahren. Auch wenn sich das da vorne sich auch nicht so anfühlte. Aber Fremdwahrnehmung hat auch selten die Strenge der Wahrnehmung, die man an sich selbst anlegt. Zumindestens jene, die geäußert wird.