Glückliche Unfügung

Es war natürlich grober Unfug, das ich trotz allem mit dem Auto nach Koblenz gefahren bin. Und jeder vernünftige Mensch hätte mir wahrscheinlich gesagt „Geh morgen in Lüneburg zum Doc“. Aber was haette der machen können? Er haette vermutlich kein Ultraschall gemacht, der hohe Blutdruck wäre vielleicht vorbei gewesen und ich wäre kein Stück weiser als davor.

Hindsight is 20/20. Ich kann aus heutiger Perspektive sagen „Hätte der Hausarzt man einen Ultraschall an einer Stelle gemacht, an der eigentlich Kardiologen arbeiten, oder mich ins CT geschickt“. Wobei ich nicht einmal weiss, ob das mit jedem Ultraschallgerät, das ein Hausarzt so hat, so einfach geht. Aber aus heutiger Perspektive ist das alles einfach zu sagen. Aus der Perspektive von damals: Warum hätte er das tun sollen? Es gab wohl nie einen diagnostischen Hinweis, das das in mir schlummerte.

Auf der Auskultation (mit nem Stethoskop abhören) war das vermutlich auch nicht zu hören, so das mein Arzt wahrscheinlich keinen Grund für eine weitergehende Untersuchung gesehen hätte. Ich hab später gelernt, das man wohl die turbulente Strömung eines Aneursysmas hören kann. Ich muss da Google glauben. Schliesslich bin ich kein Arzt. Immerhin war ich wegen einer Erkältung vorher mehrfach mit dem Stetoskop abgehört worden. Oder wegen Vorsorgeuntersuchungen. Und er hat nichts aussergewöhnliches gehört. Ich vermute, weil mein Aneurysma so ausgeprägt war, das es da schlicht keine turbulente Strömung hab. Anders kann ich mir das nicht erklaeren. Ich hatte auch nicht das übliche Alter für Aneurysmen.

Ich mache da meinem Hausarzt keinerlei Vorwürfe. Wenn man Hufgeklapper hört, sollte man an Pferde denken und nicht Zebra. Und das ist nun mal aus meiner Sicht kein Aortenaneurysma. Und ich vermute nen ausgewachsenes Aortenaneurysma mit 45 Jahren ist ein wirkliches Zebra auf das man erst mal so nicht kommt.

Das was ich hatte ist schon sehr selten. Das thorakale Aortenaneurysma (also das was ich hatte im Brustkorb) scheint laut Google eine Häufigkeit von 0.1% bis 0.3% über die Gesamtbevölkerung gesehen. Im Alter steigt die Häufigkeit deutlich. Aber damit ist so 70-80 Jahre gemeint. Nicht 45, die ich damals war. Teilweise wird sehr konservativ von 1:5000 geredet. Ein Aneurysma im Bauchraum ist da schon häufiger.

Das Pferd war an der Stelle, das mein Arzt ein leicht verunsicherten, mehr als übergewichtigen Patienten vor sich hatte, der sich in vermutlich irgendwas reingesteigert hat und ganz dringend abnehmen sollte und Sport machen müsste. Und er hatte recht. Und nicht eine Krankheit für die die die üblichen Anhalte fehlten. Die Aortenklappe schein wohl ein deutlicher Hinweis zu sein, das es da ein Problem gibt mit der Aorta gibt. Die haben bei mir selbst bei der grössten Ausdehnung des Aneurysmas wunderbar funktioniert und es sind immer noch Originalteile, komme ich später noch mal drauf. Sie funktionieren auch jetzt gerade wunderbar. Haben erst diese Woche TÜV bekommen. Und ich hoffe, das das noch mal eine Weile so bleibt. Dazu kam: Die Krankheit war erstmal in meiner damaligen Alterskohorte sehr unwahrscheinlich.

Ich habe es wirklich dem Entschluss zu verdanken, das ich trotz allem nach Koblenz gefahren bin, das ich zu dem Zeitpunkt davon erfuhr. Insofern war es keine glückliche Fügung, sondern glücklicher Unfug, das ich gefahren bin.

Das ist vielleicht das Wesen einer Zufallsdiagnose. Es müssen schon einige Zufälle zusammenkommen, damit man die entsprechende Diagnostik zustande kommt. Oder es ist einfach Zufall, das man ein anderes Problem hat, das untersucht werden soll, und dabei kommt dann die Diagnose „Aneurysma“ bei raus. Und wenn ich so recht überlege. Ich bin in meiner Vergangenheit zwar mal geröntgt worden, ich bin auch im MRT gewesen. Aber es war nie der Brustkorbbereich dabei im Blick.

Ich bin da bei weitem kein Einzelfall die Art und Weise betreffend, wie ich gelernt habe, das ich diese Krankheit habe. Es ist eigentlich wenn ich alles so lese, was dem ich habhaft werden konnte, eigentlich der Normalfall. Im einem Forum, das ich ganz gerne lese, wurde da ziemlich oft von berichtet.

Biologische Klempnerei

Okay, im letzten Teil habe ich es nun auch auch ohne Verklausulierung durch den ICD-Code offen gesagt. Es wurde bei mir ein Aortenaneurysma an der aufsteigenden Aorta gefunden. Was ist denn das?

Ich will vor dem restlichen Text eine Sache klarstellen: Ich bin kein Arzt. Es ist mein Laienwissen das ich weitergebe. Mein Gedankliches Modell in den letzten Jahren. Es kann potentiell völlig falsch sein.

Vielleicht zur Erläuterung des Problems: Ich hatte damit ein Verrohrungssproblem in meinem Körper. Der Körper hat eine grosse Hauptversorgungsleitung, die vom Herzen ausgeht. Die Hauptschlagader. Auch Aorta genannt. Die Aorta ist so wichtig, das sie seit 2024 als eigenes Organ zählt. Und das mit recht wie ich finde. Denn ohne die Aorta ist im Körper alles nichts.

Sie trägt das Blut vom Herzen zu allen weiteren Arterien. Wieder ein Organ mehr, das Schüler in Zukunft lernen müssen. Ich bin ja mal gespannt, wann das seinen Eingang in Schulbücher finden wird. Vielleicht bei den Kindern meiner jüngsten Nichte, sollte sie sich für eine dementsprechende Lebensgestaltung entscheiden.

Also nochmal: Die Aorta geht also vom Herzen aus. Dort ist am Anfang eine Art Rückschlagklappe eingebaut. Die Aortenklappe. Diese sorgt dafür, das das Blut, nachdem es vom Herzen Richtung Körper ausgeworfen wurde, nicht gleich wieder ins Herz zurückfliesst. Gleich danach versorgt sich das Herz selbst daraus mit den Koronaraterien.

Bei der Gelegenheit ist mir auch aufgefallen, wieviel man eigentlich so an Schulwissen vergisst. Ich hab damals erst mal wieder nachschlagen müssen, wie sich eigentlich das Herz noch genau selbst mit Blut versorgt. Leistungskurs Biologie als P1? Jörg, schäm dich. Dabei erinnere ich mich bis heute an den Citratzyklus.

Dieses Fehlen war wahrscheinlich Resultat des mentalen Kompressionsalgorithmus, der über das Wissen, das man so hat, läuft, wenn man dieses lange nicht mehr braucht. Und bis 2018 hatte ich nicht so richtig darüber nachgedacht. Im Grunde genommen seit meinem Abitur. Seit 2018 hat mein Wissen über das Kreislaufsystem des Menschen rapide zugenommen. Eine für Laien relevante Lücke wird sich da mit Sicherheit bis an mein Lebensende nicht mehr auftun. Denn alles sollte so lange Teil meines Lebens bleiben, das ich das alles nicht mehr vergessen werd.

Wobei es eine interessante Frage gibt: Warum ist dann der Citratzyklus immer noch unkomprimiert in meinem Kopf? Keine Ahnung. Dafür gibt es üblicherweise noch weniger Alltagsanwendungen.

Also, selbst das Herz selber ist auf die Aorta angewiesen. Sie geht vom Herz ein Stück nach oben. Der Bereich nennt sich Aorta ascendens. Sie beschreibt einen Bogen, dort ist beispielsweise der Kopf angeschlossen, die Arme. Das wird sinnigerweise Aortenbogen genannt. Und dann biegt sie ab nach unten und wird zu Aorta descendens. Sie geht sehr weit nach unten. Sie teilt sich auf ihrem Weg durch den Körper. Sie versorgt beispielsweise die Nieren, Leber. Alles ist da irgendwie angeschlossen. Naja, ausser die Lungen. Die haben ihren eigenen Blutkreislauf (Anmerkung: Ich bin kein Mediziner, mag sein, das da noch was anderes nicht dran hängt. Wie gesagt, mein Bio-LK ist eine Weile her …).

Dafür das die Aorta so wichtig ist, weisst sie keine nennenswerte Redundanz auf. Es gibt keine zweite Aorta. Ich finde den ganzen Körper sowieso erstaunlich wenig redundant. Keine zweite Leber. Kein zweiter Pankreas. Keine zweite Milz. Kein zweites Herz. Es gibt nur eine Aorta. Dafür haben wir aber zwei Lungen, zwei Nieren, zwei Augen, zwei Arme, zwei Beine, zwei Arme, zwei Beine. Das Architecture Review Board für den Mensch scheint da ein wenig inkonsistent gewesen zu sein. Wahrscheinlich waren zwei Designteams dran beteiligt. Eine Enterprise Human Group und die YOLOops Division …

Das Stück nach oben vom Herz aus wird wie gesagt Aorta Ascendens genannt. Logisch. Steigt ja. Und dort war meine Aorta deutlich geweitet. Krankhaft geweitet. Nichts anderes bedeutet „Aneurysma“. Es ist die krankhafte Erweiterung eines Blutgefässes. Das ist kein auf die Aorta beschränktes Phänomen. Ihr habt vielleicht schon mal von Aneurysmen im Kopf gehört. Kanns auch an anderen Orten geben.

Warum es sich erweiterte? Vermutlich Blutdruck. So klassisches Ausleiern. Vielleicht Veranlagung. Ich hatte immer etwas hohen Blutdruck, aber nicht ungewöhnlich hohen Blutdruck bis auf den Notfall. Es ist alles ein wenig verwunderlich. Es gibt genetische Dispositionen dafür, aber ich bin ein Einzelfall in meiner Familie. Daher gehe ich davon aus, das ich nicht von dieser genetischen Problematik betroffen bin.

Ich hege auch die Vermutung, das meine lange praktizierte Art zu heben oder beispielsweise im Drachenboot zu paddeln, dazu beigetragen haben. Pressatmung. Das erhöht den Blutdruck nämlich auch. Und irgendwann is das halt ausgeleiert.

Ich will es ehrlich gesagt auch gar nicht so genau wissen. Bis heute nicht. Ich betreibe Root-Cause-Analysis in einer Tiefe die man fast „up to a fault“ bezeichnen könnte, aber ausgerechnet hier wollte ich nie zu tief nachfragen, mit weiteren Untersuchungen zu tief nachbohren.

Die Aorta hat einen Normbereich hinsichtlich ihres Durchmessers. Ist so irgendwo um und bei 2,5 bis 3,5 cm. Obwohl man mir zu Gute halten muss, das ich grösser bin und die Aorta bei mir vielleicht etwas weiter sein darf, hatte ich mit 48 mm die zu erwartende Weite deutlich überschritten. Das war mehr als zwei Standardabweichungen von der Normalität entfernt. Damit war ich offiziell Träger eines Aneurysmas. Auch wenn meine Ärzte das wegen meiner Grösse lange erstmal als Ektasie deklarierten (das ist eine Erweiterung, die noch kein Aneurysma ist). Egal was es war, egal wie es benannt wurde, es war ein Problem.

Okay, ist die Aorta halt weiter als normal. Andere Menschen haben nen grossen Kopf, abstehende Ohren oder grosse Füsse. Worin besteht das Problem? Die Krankheit ist nicht ganz ungefährlich und das hat mit den Gefäßwänden und den Kräften, die auf sie wirken, zu tun. Ein Typ namens Laplace und seine Erkenntnisse sind dafür wichtig.

Wie schreibt die Wikipedia: „Bei gleich bleibendem Blutdruck steigt mit größer werdendem Radius die Spannung der Gefäßwand. Da die größere Spannung zu weiterer Dehnung führt, ergibt sich ein Circulus vitiosus, der in das Reißen der Gefäßwand mit lebensbedrohlicher Blutung münden kann“.

Lebensbedrohlich ist hier sehr ernst gemeint. Man stelle sich vor, die Hauptversorgungsleitung einer Stadt platzt. Nirgendwo kommt mehr Wasser an. Oder nur noch sehr wenig. Während man sich vielleicht in der Stadt mit ner Flasche Wasser behelfen kann, sieht das im Körper völlig anders aus. Der Körper kommt nicht lange damit zurecht, wenn das Blut fern bleibt. Beim Hirn etwa 3 Minuten.

Irgendwann übersteigt die Spannung der Gefäßwand deren Fähigkeit diese aufzunehmen. Und das ist das Problem. Riss oder Dissektion. Tod an innerem Verbluten. Meistens. Oft. Sehr schnell.

Wobei der menschliche Körper hier manchmal gar wundersam ist und Menschen Befunde überleben, die üblicherweise nur in der Pathologie zu sehen sind. Ich weiss von Fällen über einige Ecken, wo eine Ruptur überlebt wurde und rechtzeitig repariert werden konnte. Man sollte aber nicht darauf setzen, ein solcher Fall zu sein. Das ist gottverdammtes Glück mit einer völligen Auslöschung der gesamten Karmapunkte, die man je gesammelt hat und je sammeln wird. Jener Mensch sollte in seinem Leben nichts mehr tun, was irgendwie das Karmakonto belastet. Ich würde es zumindest so halten.

Wichtig ist aber: Das muss alles nicht passieren. Es finden auch Menschen den Weg in die Pathologie, die in gesegnetem Alter an was anderem verstorben sind, aber bei denen bei Obduktion ein Aneurysma in „Was zur Hölle?!?“-Größe gefunden wird. Es gibt aber auch Menschen, bei denen das Aneurysma deutlich vor der Größe platzt, die mein Aneurysma 2018 hatte.

Es ist keine exakte Wissenschaft. Wie sagte der Radiologe, als ich auf die Messungenauigkeiten und Vergleichbarkeit der Methoden ansprach: „Das ist kein exakt zu messendes Stahlrohr. Und es verhält sich nicht immer gleich“.

Jedes Verfahren des Messens hat seine Vor- und Nachteile, was die Genauigkeit angeht. Wobei MRT und CT eigentlich schon recht genau sind. Ultraschall im Prinzip auch. Wie auch immer, die Einflussfaktoren, wann die Aorta ruptiert oder eine Dissektion startet, sind mannigfaltig.

Die Wissenschaft wird da immer besser in der Prognose, wie hoch das Risiko ist, das das Aneurysma platzen könnte. Von starren Durchmessergrenzwerten ist man wohl ein bisschen weg, mittlerweile ist man bei Verfahren angelangt, die das Risiko auf Basis von Körperoberfläche oder besser Körpergrösse einschätzen. Denn man hat rausgefunden, das 48 mm bei 1,92m ein etwas anderes Risikoprofil aufweist als bei 1,50m Körpergrösse.

Aber man ist meinem laienhaften Verständnis da immer noch auf der Suche, was da letztlich für einen katastrophalen Ausgang entscheidend und von aussen messbar ist, um sicherzustellen, das alles was da medizinisch folgt, nur bei jenen stattfindet, die es auch wirklich brauchen. Denn die Behandlung klingt einfach, ist nicht ganz ungefährlich.

Ich gehe davon aus, das irgendwann Simulationen da gerechnet werden, die die Wahrscheinlichkeit einer Ruptur anhand der gemessenen Strömungsverhältnisse, Wandstärken und was weiss ich errechnen können werden.

Was man dann macht?

Alles was da medizinisch folgt, hiess bei mir in 2018: Wenig. Erstmal bleibt man konservativ. Strikte Blutdruckkontrolle. Wachsames Abwarten. Das ist so eine Diagnose, da macht man erst mal nichts Eingreifendes. Zumindest wenn man noch nicht bei bestimmten Aortendurchmessern ist.

Denn die Lösung ist: Man operiert das irgendwann. Erinnert euch, was ich dazu schrieb, wo das Problem im Körper ist. Nicht gerade leicht erreichbar. Die Operation sehr komplex, weil hier Dinge stillgelegt werden müssen, die man zum Leben eigentlich dringend braucht.

Diese Operation macht mach nicht einfach mal so, sondern hat Richtwerte dazu definiert, wann man zur OP schreitet. Damals war diese Grenze bei 55mm. Sie liegt auch noch heute dort, wobei es aber anscheinend mittlerweile mehr Gründe gibt, auch vorher zu operieren.

Man wartet den Schnittpunkt aus Operationsrisiko und Rupturrisiko ab. Und der ist üblicherweise bei 55mm, weil das Risiko der Ruptur über 55mm rapide steigt. Es gibt in der Statitik dort wirklich ein sehr markanten Kippunkt.

Jetzt heisst die Intervention in diesem Fall nicht unbedingt, das man im offenen Oberkörper wühlt. Es gibt verschiedene Methoden, sich des Aneurysmas zu entledigen, je nach dem wo sich das Aneurysma befindet. Aufschnippeln oder mit einem Katheter von innen. Katheter funktioniert mittlerweile ganz gut bei der absteigenden Aorta, wenn ich das richtig verstehe. Aber da war mein Aneurysma nicht.

An der Stelle an der ich es hatte, wird bei Patienten meines Alters mit „Aufschnippeln“ gemacht, weil es enorme Herausforderungen bei der endovaskulären (also von innen mit einem Stent) Beseitigung dieses Problems an dieser Stelle gibt. Das mit dem Austauschen hatte mir so auch der Kardiologe in Koblenz erklärt. Natürlich in anderen Worten als ich sie gewählt habe. Man forscht noch an der Versorgung mit Stents. Hätte ich das Aneurysma zu einer Zeit entdeckt, zu der man es üblicherweise entdeckt, so in 10 Jahren von Heute in der Zukunft, hätte das vielleicht anders ausgesehen.

Aber so musste ich mit der Medizin meiner Zeit leben. Endovaskuläre Beseitigung an der Aorta Ascendens heisst nämlich heute noch: Es geht, man kann das machen. So irgendwie. Mit Stents, die eigentlich für was anderes gedacht sind. Aber wegen der verbundenen Risiken macht man das nur bei Patienten, bei denen das Risiko einer offenen Operation noch höher ist. Inakzeptabel höher. Es ist momentan eher ein Mittel um die 85-jährigen Grosseltern zu retten, die bei einer offenen OP versterben würden. Nicht um einen fünfzigjährigen Patienten in gutem Allgemeinzustand einige unangenehme Teile der Operation zu ersparen. Und es klappt auch nicht immer mit den Stents, wenn ich die Dokumente richtig lese.

Die offene Operation, soweit ich das verstanden habe, ist Klempnerarbeit auf allerhöchstem Niveau. Es wird halt ein Stück Rohr ausgetauscht. Jenes Stück, das erweitert ist. Da kommt eine spezielle Prothese hin. Die nennt sich sogar Rohrprothese.

Aber so wie man das Wasser bei der zu Brechen drohenden Hauptleitung abstellen muss, muss man bei dieser Operation das Herz lahmlegen. Da das der Körper nicht so toll findet, mehr als 3 Minuten ohne Kreislauf zu leben, kommt man an eine Herzlungenmaschine. Und das ganze ist hinter Rippen, die auch erst mal ausm Weg müssen. Also alles keine angenehme Angelegenheit. Eine Angelegenheit, in der Sachen schief gehen können. Viele Sachen schief gehen können.

Es gibt mittlerweile andere Ansätze, die die offene Operation insofern weniger invasiv machen, als das beispielsweise auf die Herzlungenmaschine verzichtet wird. Dabei wird die erweiterte Aorta nicht enfernt und ausgetauscht sondern von Aussen mit einem Gewebe gestützt, so das es sich nicht erweitern kann. Das Verfahren nennt sich PEARS und wird in Deutschland erst seit dem letzten Jahr angeboten, obwohl es eigentlich schon einige Jahre anderswo verwendet wird. Das Verfahren nimmt einige Risiken aus der Gleichung. Aber die Methode gab es in Deutschland 2018/2019 noch nicht. Sie ist wirklich erst seit 2024 in wenigen Kliniken hier verfügbar (von einer weiss ich, eine zweite ist auf einer Webseite des Herstellers der Ummantelung zu finden). Es wird dabei wirklich eine persönliche Ummantelung gewebt, die dann im OP um die Aorta gelegt und vernäht wird. Ohne HLM. Sehr interessante, sehr spannende Methode. Die leider aber nicht immer geht.

Zurück nach Hause

Zurück ins Jahr 2018: Davon war ich an jenem Tag in Koblenz noch 7mm entfernt. Also kein Fall für ein dramatisches in den OP schieben, mich in die nächste Herzklinik fliegen, oder mich gleich in der Notaufnahme aufzumachen. So wie man es zuweilen in „Emergency Room“ sah. Es gibt ja die Szene, wo die Rezeptionskraft sich als Gefässchirurgin aus Polen - die nicht als Ärztin in den USA arbeiten durfte - entpuppt, die im ER den Brustkorb öffnet und ein ruptiertes Aneurysma so flickt, das der Patient eine Chance hatte. Leider sah man diese Person nie wieder in der Serie.

Mein Messwert war noch nicht operationswürdig. Und da man unmittelbar nichts machen kann und es mir ja im Grunde genommen wieder gut ging (mein Blutdruck war bereits am nächsten Tag so, das man sich fragen konnte, ob das alles nur ein böser Traum war. Nicht normal, aber okay) wurde ich am frühen Nachmittag aus dem Krankenhaus entlassen. Ich verabschiedete mich von den Krankenschwestern- und Pflegern der Station und verliess das Krankenhaus. Und das Erste, was passierte, war ein kleines bisschen Verzweiflung. Ich erinnere mich noch sehr gut daran.

Warum ich mich ein kleines bisschen verzweifelt fühlte? Ich mochte noch 7mm von einer sehr heftigen OP entfernt waren, an jenem Tag war ich aber 500 km von zuhause weg. Ich stand übernächtigt vor einem Krankenhaus. Mein Auto in einem Parkhaus etwa nen Kilometer weit weg. Ich zog meinen Rollkoffer hinter mir her. Er klackerte auf dem Pflaster. Und nervte wahrscheinlich die Anwohner. Mein ganzes Unterstützungssystem war genannte hunderte Kilometer weit weg. Und ich musste erstmal mit einer ganz schlechten Nachricht klar kommen.

Ich habe ganz gute Freunde in der Gegend, aber die wollte ich da nicht damit belästigen. Es war keine vollausgewachsene Verzweiflung. Ich tränte ein bisschen vor mich hin. Wie sollte man auch anders reagieren in einer solchen Situation. Auch wenn man sich so hartgesotten gibt.

Ich habe gelernt, das es da hilfreich ist, erst mal die Emotionen aus dem System zu bekommen und dann das Problem in Angriff zu nehmen. Und das unauffälligste war für mich ein kurzes Tränen vergießen in diesem Moment, um das Gefühl der Ohnmächtigkeit aus dem System zu bekommen. Konnte ja nicht die Welt zusammen brüllen da vorm Krankenhaus. Auch wenn mir es mir auf der Zunge lag, ein laut schallendes „Sch….“ in die Welt zu schreien. Gerne auch mehrfach. Hätte ich das rausgeschrien, was mir damals durch den Kopf ging, wären Vögel wahrscheinlich vor Schreck tot aus den Bäumen gefallen und Mütter hätten ihren Kindern panisch die Ohren zugehalten. Und diese hätten eine exquisite Auswahl von neuen Schimpfwörtern gelernt.

Irgendein Ventil brauchte ich, also habe ich das unauffälligste auf meinem Rückweg zum Auto gewählt.

Ich schrieb ja schon: Das Aneurysma ist in vielen Arztserien gern genommenes spannungsbildendes Element. Wenn das kommt, sind in der Folge gerade Fäkalien in Richtung Ventilator geflogen und hat diesen getroffen. Das ist dann wirklich ganz grosser Mist. Und nun wusste ich, das in meinem Brustkorb ein solches schlummerte. Ich wollte kein spannungsgebendes Drehbuchkonstrukt in meiner Brust haben. Oder anders ausgedrückt: Das Drehbuch meines Lebens hatte plötzlich stark an Spannung gewonnen.

Dabei ist das so unkreativ. Wie häufig das Aneurysma von unkreativen Kreativen in der Drehbuchabteilung verwendet wird, fällt einem erst auf, wenn man es selber hat. Denn man zuckt bei diesem Wort regelmässig zusammen. Es scheint zu g elten: Wir brauchen drängende, zeitkritische Spannung: Nehmen wir doch nen Aneurysma. Egal wo. Im MCU würde man wahrscheinlich ein Hirnaneurysma nehmen, das Dr. Strange mit ein wenig Klingeldraht und ner Hilti repariert, bei Grey’s Anatomy ists beim Herz gestehen sich wahrscheinlich zwei Ärzte ihre Liebe, während die Chirurgin gerade handtief im Brustkorb des Patienten steckt und im Hintergrund „Chasing Cars“ von Snow Patrol gespielt wird. Bei House M.D. ists wahrscheinlich ein Aneurysma, das an eine spezielle Stelle drückt, aber nur wenn man bei Mondschein auf einem Trampolin hüpft und dann zu Ohnmacht führt. House zeigt den Effekt mit seinem Gehstock.

Das mit dem plötzlichem Auffallen ist so wie blauen Citroens, alte Citroen HY oder auch toffeebraune (ich bezeichnete die Farbe anders) Tourane, die auch erst auffallen, wenn man selbst damit zu tun hat. Man fragt sich, warum die erst jetzt ins Hirn diffundieren. Oder warum man erst dann Autokennzeichen vom anderen Ende der Republik in Hamburg bemerkt, wenn man selbst da gewesen ist (und nicht so verpeilt ist und denkt „Oh, ein Auto mit Münchener Kennzeichen. Ist vielleicht ein Firmenwagen“ … in München. Zu meiner Entschuldigung: Ich probte meinen Vortrag da noch im Kopf, den ich in etwa 20 Minuten halten müsste)

Die Rückkehr nach Lüneburg war nicht ganz unproblematisch. Ich hatte ja nicht geschlafen. Einfach ins Auto steigen und 500 km fahren war also nicht drin. Mir fiel als allererstes ein: Familienverteiler. Und mein Bruder hat mir ohne Nachzudenken angeboten, mich zusammen mit seiner Lebenspartnerin aus Koblenz abzuholen, um das Problem zu lösen, wie ich und mein Auto aus Koblenz wegkommen. Deswegen fiel die Bahn für mich weg. Fliegen wollte ich so auch nicht, aber mein Flug für diesen Tag war ja eh storniert. Ich hätte zudem irgendwie den Wagen dort wegbekommen müssen. Und ich ging nicht davon aus, das ich innerhalb weniger Tage noch mal nach Koblenz gefahren wäre.

Wie auch immer. Es klappe alles gut. Aber es zeigt auch, wie meine Geschwister in solchen Fällen ticken. Kein „Das passt gerade gar nicht“ oder „Das mag ich jetzt nicht“. Sondern einfach ein „wir machen das möglich“. Und dafür bin ich unendlich dankbar. Meine Familie ist so. Ich würde das auch jederzeit für meine Geschwister machen.

Irgendwann war ich am späteren Abend des 26.11.2018 dann in Lüneburg. Am Ende meiner mentalen Kräfte, da emotional völlig nach den Geschehnissen der letzten 24 Stunden ausgelaugt. Aber zuhause. Von dort aus ging ich erst mal zu meinen Eltern und berichtete von dieser Nacht und diesem Tag. Denn schlafen wollte ich noch nicht. Schlafen konnte ich auch nicht. Trotz der weitestgehend durchwachten Nacht. Ich wollte den Menschen um mich herum erst einmal mitteilen, was vorgefallen war. Die wussten bisher auch nur, das ich im Krankenhaus war und das ich ein Problem hatte. Das ich auch erst mal erklären musste.

Morgen werde im Blog aber erst mal erklaeren, wie die Situation danach erstmal ganz merkwürdig wurde, bevor eine gewisse Normalität einkehrte. Und ich eigentlich bis heute nicht so recht weiss warum alles zunächst seitwärts ging.

Written by

Joerg Moellenkamp

Grey-haired, sometimes grey-bearded Windows dismissing Unix guy.