Lehren
Ich habe viel über mich geredet. Wenn ihr wirklich bis hier her gelesen habt, bin ich euch dankbar.
Man sagt, das es im Leben „Learning Opportunities“ gibt. Aber eigentlich ist das aus meiner Perspektive Unfug, weil es nahelegt, dass es Zeiten gibt, in denen man nichts lernt. Aber das stimmt so nicht. Ich kann mich an keinen Tag in meinem Leben erinnern, an dem ich nichts gelernt habe. Es sind vielleicht nur Kleinigkeiten. Aber man lernt über sich, über andere Menschen, über die Welt, über sich im Zusammenspiel mit der Welt. Neugier ist vielleicht gar nicht das Suchen nach neuem, sondern der Wille wahrzunehmen, was einem die Welt anbietet zu lernen. Ich habe noch keinen Tag in meinem Leben erlebt, an dem mir die Welt nicht etwas angeboten hätte zu lernen. Manchmal sind es große Dinge, wie eine neue Fähigkeit, manchmal sind es kleine Dinge wie die Erkenntnis, wie man auf eine Situation reagiert. Manchmal sind es große Mahlzeiten, die man vom Wissen der Welt nimmt, wie in der Schule, manchmal nur kleine Bissen im Alltag, wenn man erwachsen ist. Ich glaube, das bleibt so bis zum letzten bewussten Moment unseres Lebens. Ich hoffe es.
Natürlich ergibt sich dann die Frage, was ich aus meiner Krankheit in den letzten sieben Jahren gelernt habe. Was ich auf dem Weg der letzten 3 Monate gelernt habe. Was sind meine Lehren, die ich gezogen habe? Viele Lehren sind schon im bisherigen Text enthalten. Manchmal direkt ausgedrückt, andere im Text verklausuliert. Was wären so meine großen Lehren, die ich aus den letzten sieben Jahren gezogen habe?
Keinen Raubbau an sich selbst zulassen natürlich. Gesund leben, vor allen Dingen den Blutdruck unter Kontrolle haben. Blutdruck ist der stille Mörder. Was der Spruch nicht sagt, ist, das hoher Blutdruck, wenn er dich nicht umbringt, sehr anstrengende Konsequenzen haben kann. Beispielsweise eine solche OP.
Aber auch sonst, vielleicht weniger Stress, mehr Gesundheit. Bei einigen Leuten in der AHB habe ich mich schon gefragt, was sie an diesen Ort verschlagen hat. Sie erschienen so deplatziert. Erschienen mir zu, als das eine angeborenes Problem sie in die Operation geführt hat, zu jung, als das das Leben sie schon ins Krankenhaus gebracht hat. Trotzdem Herzinfarkt. Trotzdem eine Klappe, die des Ersatzes bedurfte.
Ich habe das Gefühl das diese „Ich muss noch schnell die Welt retten“-Attitüde, wenn man nicht sonst auf sich aufpasst, eben ganz schnell auch in Bad Bevensen oder einer vergleichbaren Institution enden kann. Wenn sie nicht auf dem Karkhoff endet, wie man diesen Ort im Dialekt meiner Heimat nennt. Achtsamkeit bedeutet eben auch, das man eben auch die Erkenntnis hat, das man eben nicht allein die Welt muss. Die Welt kann nicht allein gerettet werden. Das ist ein Teamjob. Im Großen wie auch im ganz Kleinen. Und man durch das Team die Chance hat, eben auch Energie zu tanken, während andere die Rettung fortführen. Das man genau gucken muss, welche Welt man zuerst rettet. Welche Welt man im Team rettet. Und welche Welt man ungerettet lässt. Es hat mich nur erschüttert, wie viel Porzellan ich auf dem Weg zerschlagen habe, damit diese profane und völlig offensichtliche Erkenntnis endlich in meinem Schädel angekommen ist.
Es gibt auch deutlich praktischere Lehren: Vielleicht mal bei der nächsten Vorsorgeuntersuchung die Ärztin oder den Arzt darum bitten, das Ultraschall auch mal in Richtung Aorta zu halten, um zu gucken, ob da noch alles in Ordnung ist. Zumindest jenen Teil, der im Bauchraum ist. Nicht das Du durch das Platzen von einem Aneurysma drei Minuten vor dem Tod informiert wird, denn nicht immer hat man das Glück eines Zufallsbefundes.
Wenn Euch eine Diagnose ereilt, informiert Euch darüber. Ich bin der Überzeugung, dass ein informierter Patient ein guter Patient ist. Ich meine hier mit informieren nicht irgendwelche fragwürdigen Informationen aus irgendwelchen sozialen Netzwerken, bei denen man nicht wirklich so richtig überprüfen kann, wo diese Informationen herkommen. Sondern sich über die eigene Krankheit in Fachbüchern zu informieren. Studien zu lesen. Vor allen Dingen den Aufklärungsbogen kurz vor der Operation lesen. WIRKLICH LESEN. Und nicht nur überfliegen und unterschreiben, weil die Operation eh unausweichlich erscheint.
Je mehr man weiss, desto mehr gewinnt man das Gefühl, das man nicht von der Krankheit gelenkt wird, sondern dass man seinen eigenen Weg mit der Krankheit kontrolliert. Guckt Euch trotzdem keine Operationsvideos auf YouTube an. Ich habe das auf die harte Tour gelernt. Es gibt auch Dinge, die muss man nicht unbedingt wissen, nicht unbedingt sehen muss.
Was ich aber auch gelernt habe, war das man auch sowas durchsteht. Vor dem 29.9 sah all das sehr sehr groß, sehr erschreckend aus. Es waren mit Sicherheit keine einfachen 3 Monate, durch die ich gegangen bin. Aber man steht das durch. Ich habe das durchgestanden. Bei allen Befürchtungen. Bei allen Ängsten. Bei allem Schiss.
Man sagt immer, Kinder sind resilient. Um darauf hinzuweisen, wie einfach diese mit großen Änderungen umgehen können. Aber das ist nur die Hälfte der Geschichte: Wir alle haben diese Resilienz ins uns. Alle Menschen sind resilient. Ich habe in den Menschen um mich so viel Kraft gesehen, weiterzumachen auch wenn alles schwer erscheint. Wir haben nur je älter wir werden mehr Beharrungsvermögen beim Alten bleiben zu wollen. Auch wenn es nicht gut für uns ist. Aber wenn wir die großen Änderungen annehmen, merken das Dinge nicht so sind, wie wir es uns erhofft haben, sehen das manche Dinge nicht auf Dauer durchhaltbar und gut sind, sind wir genauso fähig, mit diesen Herausforderungen klarzukommen.
Ende
Ich möchte mich am Ende dieser Reihe mich eines etwas veränderten Textes des deutschen Alltagsphilosophen Thomas D. bedienen. Es ist ein Text, den ich vor längerer Zeit nahezu in dieser Form für einen Brief geschrieben habe, den ich nie abschickte. Er erscheint mir hier aber passend, so das ich damit den Bericht über die letzten 7 Jahre schliessen will.
Denn da wir alle in unseren Ängsten innerlich noch Kind
Und da die uns Erwachsen scheinen unsere grössten Helden sind,
Beschreib ich meine Welt mit meinen Sorgen in mir.
Denn ich bin noch da, nein ich bin trotzdem noch hier,
Da die Fähigkeit zu berichten mir geblieben ist,
Und Schicksal und Krankheit ein Bestandteil unser aller Leben ist,
Wurde der Wunsch sich mitzuteilen erweckt und was in meiner Erinnerung schlief,
führte hier Feder und schrieb diesen langen Brief.
Ja, ich weiss … ich werde mir selber die Tür aufmachen und hinter mir wieder verschließen.
Danke!
Ich möchte mich in diesem Text bei einer Vielzahl von Personen bedanken. Die Reihenfolge stellt keine Wertung dar. Meine Dankbarkeit ist gegenüber all diesen Menschen groß. Ich bedanke mich bei …
- meinen Eltern, meinen Geschwistern und den Ehepartnern und Lebensgefährten meiner Geschwister. Ihr musstest in der Zeit vorher und nachher ganz schön was durchstehen mit mir. Ihr seid einfach großartig.
- den Ärztinnen und Ärzten, den Kardiotechnikern, den Pflegerinnen und Pflegern sowie allen weiteren Mitarbeitern des Albertinenkrankenhauses in Hamburg, insbesondere aber dem OP-Team um Prof. Dr. Hanke. Ich verdanke allen dort, das das so gut gelaufen ist.
- gleiches gilt für das Team in der Reha-Klinik in Bad Bevensen
- meinem Kardiologen für bisher sieben Jahre ein Team in der Auseinandesetzung mit meiner Krankheit zu sein
- meiner Hausärztin für mir auch einfach mal einfache Wahrheiten vor den Latz zu knallen.
- meinem Manager, der grosses Verständnis für die Situation gezeigt hat.
- meinen Kollegen, die meine Arbeit übernommen haben in der langen Zeit der Arbeitsunfähigkeit nach der OP.
- bei jenen Menschen, die mich auf dem Weg durch die letzten sieben Jahre begleitet haben. Manche die ganze Strecke, manche nur ein kurzes Stück. Auch wenn ich zu manchen - teilweise nicht im Guten - den Kontakt verloren habe, bin ich ihnen für die Begleitung dankbar und werde es stets sein. Ich habe weder sie noch ihre Begleitung vergessen.
- bei Euch, die sich diesen Text bis ans Ende durchgelesen haben.