Eigentlich wollte ich heute schon unterwegs sein. Die ersten 60 Kilometer unterwegs sein. Eigentlich. Aber ich habe eine grosse Dummheit begangen, von der ich genau weiss, das man sie nicht begeht.
Welche Missetat habe ich begangen? Ich habe gepatcht. Einen Tag vor Inproduktionssetzung. Bei meinem Fahrrad. Dazu muss man wissen: Die Schaltung an einem Specialized Turbo Creo 2 ist elektronisch und funktioniert über Funk (anders als ältere Shimano DI2, die vollständig über Kabel funktioniert, wobei neuere wohl mittlerweile zumindestens die Verbindung zwischen Schalthebel und dem Rest mit Funk umsetzen). Das heisst sowohl in den Bremsschalthebeln (üblicherweie hat man zwei davon) als auch im Schaltwerk (Das was hinten am Fahrrad schalte. Das vorne am Pedal wenn es mehr als ein Kettenblatt gibt, nennt sich Umwerfer) ist ein kleiner Computer, eine autarke Stromversorgung (Batterie respektive Akku) und selbstredend auch eine Software. Und diese Software kann man aktualisieren. Was an sich auch eine gute Idee ist.
Als ich gestern noch mal die Feineinstellung für die Schaltung optimieren wollte (die Schaltvorgänge hörten sich noch nicht ganz richtig an), habe ich gesehen, das dort ein neues Softwareupdate für die Schaltung vorliegt. Ich hatte nicht wirklich Probleme mit der alten Software und so wirklich sicherheitskritisch ist meine Schaltung auch nicht, als das ich unbedingt irgendwelch Exploits gegen diese erwartet habe. Die Schaltung funkt meines Wissens via Bluetooth und ANT+ ausserhalb des Systems und das heisst, ein Angreifer müsste recht nah an mein Rad rankommen. Und was würde er machen wollen? Runterschalten? Das Microshifting ändern? Nervig aber nicht so kritisch. Ich bin schon mit wirklich schlimm verstellten Schaltungen gefahren. Aus sicherheitsgründen bin trotzdem grosser Fan von “Patch Early, Patch often”.
Leider habe ich nur ein Fahrrad mit einer SRAM Eagle X1 Schaltung. Ich hatte also für dieses Softwareupdate keine Präproduktions-Testumgebung. Ich habe aber noch ein Fahrrad mit einer SRAM Red. Die Software habe ich wirklich sehr regelmässig geupdated und nie ein Problem gehabt. Auf Basis dieser Erfahrung dachte ich: “YOLOops!”. Ich führ das Update noch durch. Immerhin war das Schaltwerk doch ziemlich downrev.
Ich habe dann nicht mehr drüber nachgedacht. Also habe ich mein Rad heute vormittag fertig gepackt und wollte noch einen kurzen Shakedown-Ride um den etwas grösseren Pudding fahren bevor es dann losgehen sollte. Gucken ob noch irgendwas wackelt, knackt oder anderweitig nicht passt. Ob wirklich alle Schreiben fest sind. Ich wollte nicht unbedingt die Drehmomentschlüssel mitnehmen. Und ich wollte nicht meinen Bruder anrufen müssen von wegen “Kannst noch mal umdrehen?” nachdem er mich für die nächste Zeit eigentlich auf dem Rad wähnt.
2 km nach Abfahrt. Nichts schaltet mehr. Keinen Gang hoch. Keinen Gang runter. WTF? Man hört nur ein leises klicken vom Schaltwerk. Das Rad hat eine 1x12-Konfiguration, hat also keinen Umwerfer vorne. Es klickt wirklich nur das Schaltwerk Egal welche Richtung. Beides klingt absolut gleich. Mein Verdacht war am Anfang: “Verdammt. Schaltwerk im Eimer?” Das kommt jetzt ein wenig ungelegen. Weil es in beide Richtungen nicht schaltete, lag der Verdacht nicht so fern. Aber warum sollte das der Fall sein? Das Rad ist praktisch neu. Und aufgrund meiner Patellasehne auch nicht mit so vielen Kilometern auf der Uhr wie eigentlich geplant.
Jörg, beruhig Dich. Nutze deine Erfahrung! Reg dich nicht auf! Fehler ordentlich rootcausen und nicht gleich das Fahrrad in den Elbe-Seitenkanal werfen. Denk nach. Nach aussen darf er nicht schalten. Da ist der Anschlag. Nach innen sollte aber schalten können. An dieser Stelle hätte ich erstmals auf die Idee kommen können, was das Problem ist. Aber lieber erstmal die einfachen Dinge ausschliessen. Für Zebras ist gedanklich später noch mehr Zeit.
Batterie geprüft. War voll. Die LED am Schaltwerk leucht, sobald man auf die Schaltwippen am Bremsschalthebel drückt drückt. Es scheint irgendeine Art von Verbindung zu geben und die Tasten funktionieren. Es kommt da irgendwas an. Das ungute Gefühl, das das Schaltwerk irgendwie kaputt war, wurde stärker.
Es gibt bei diesen SRAM Schaltwerken eine Notfunktion um selbst beim Ausfall der Bremsschalthebel noch das Schaltwerk in einen Vernünftigen ganz zu bringen, so das man nicht auf dem kleinsten Ritzel einen Berg hochfahren muss. Dazu gibt es eine kleine Taste, mit der man das Schaltwerk auch aufwecken kann. Einmal kurz heisst Schaltwerk nach aussen, zwei mal heisst Schaltwerk nach innen (vulgo: runter- und hochschalten).
Runterschalten ging nicht. Das war aber okay, weil das Schaltwerk ganz aussen war und von daher von der Justierschraube für den äusseren Anschlag zurückgehalten wird (daher das leise Klick). Hochschalten über die Notfunktion funktionierte aber. Und danach wieder runterschalten auch. Gerettet. Es ist kein Hardwareschaden (obwohl ich dann eine Ausrede gehabt hätte, auf eines der höherwertigen SRAM Eagle Schaltwerke umzusteigen, auf der anderen Seite. Wobei: Das Ding hat noch Garantie!). Und das Blinken am Schaltwerk beim STI-Tastendruck heisst, das die Hardware vorne auch okay ist.
Muss also ein Software- oder Konfigurationsproblem sein. Okay, damit kann ich arbeiten. Was macht man also zu erst: Man reinitialisiert die primäre Energieversorgung (aka in diesem Fall noch mal die Batterie abnehmen, 30 sekunden warten, wieder dran bauen). Kein Erfolg. Dann habe ich den Hauptsteuerungsrechner neu gestartet (vulgo: Taste am Schaltwerk ewig gedrückt, glücklicherweise geht das über die Taste, ich nehme üblicherweise keine Büroklammern mit auf Radfahrten). Hat auch nichts gebracht.
Was hat letztlich geholfen? Alles reseten. Beide Bremsschalthebel neu ans Schaltwerk anlernen. Danach funktionierte es sofort wieder. Mein momentaner Verdacht ist: An irgendeiner Stelle muss ich Mist gebaut haben und danach haben beide Bremschalthebel “runtergeschaltet”. Wie ich das hinbekommen habe? Keine Ahnung. Bei der entsprechenden Konfiguration in der App zur Konfiguration der Schaltung war ich da eigentlich nicht bei. Ich hab wirklich nichts geändert! (Note to myself: Das sagen sie alle …). Den Test, um diese Theorie zu bestätigen kann ich leider nicht mehr durchführen, weil vorher alles funktionierte durch den Reset. Der Test wäre gewesen, mit der Notfunktion das Schaltwerk nach innen zu bringen und zu versuchen mit den Bremsschalthebeln das Schaltwerk wieder zu bewegen.
An dieser Stelle wünscht man sich den Bowdenzug wieder zurück. Nen Drahtseil muss man nicht aufladen, man muss es nicht patchen, kann man nur in sofern konfigurieren, als das man die Zuglängung ausgleicht und die Justageschrauben verstell. Auf der anderen Seite verstellt sich die elektronische Schaltung nicht und man kann sie - wenn man sich die Finger verknotet - auch während der Fahrt feinjustieren.
Meine Schlussfolgerungen:
- Wenn dein Urlaub von einem Device abhängt, patche das Device nicht einen Tag vor deinem Urlaub. Das ist eine dämliche Idee. Entweder kommst Du nicht in den Urlaub (wenn es für den Beruf ist) oder Du kannst mit dem Urlaub nichts anfangen (wenn es ein privates Gerät ist)
- Ich brauche ganz klar ein weiteres Fahrrad als Softwaretest-Environment ;)
Meine Erkenntnisse für die Fahrt:
- Ich mach morgen noch einen Acceptancetest-Fahrt für mich selbst um Lüneburg herum. Da ist ein “Walk of Shame” oder Anruf zwecks Abholung, wenn das noch mal auftaucht, wenigstens realistisch.
- Knie hielt ganz gut auf dem längeren Shakedown-Ride. Und es hat Spass gemacht.
- Das Tubeless-Setup mit der Dichmilch hat ebenfalls gehalten. Luft ist noch in den Reifen.
Samstag gehts dann nun los. Wenn da wieder etwas schiefgeht, werde ich einfach an den Flughafen fahren, und meinen Urlaub irgendwo am Strand lesend verbringen. Ich muss da noch ein wenig umplanen. Was wegen der vorausgesagten Regenmengen eh notwendig ist. Wettermässig steht die Tour unter keinem guten Stern. Ich weiss gar nicht ob mein Ziel da gerade so sinnvoll ist oder ob das in einer Wasserschlacht endet. Ich wollte keine Hitze und Sonnenschein, deswegen hatte ich die Tour für den Juni geplant, aber ein wenig mehr “trocken” und ein wenig weniger “Jahrhunderthochwasser” und “Extremregen” wäre schon schön. Ich hege so den Verdacht meine Sturm/Gewitterwarn-App werde ich mehr brauchen als die Navigation. Mal gucken.