Fenster auf, die Sonne scheint. Naja, ein kleines bisschen. Ich will raus. Liege ohnehin schon zu lange wach rum.
I can get no sleep.
Wie seit vielen, vielen Monaten war ich wieder sehr früh wach. Manche Menschen können nicht einschlafen. Ich kann das tadellos. Kein Problem. Augen zu. Schlaf da. Der Schlaf ist nur nicht in der Lage, mich lange in seinen Armen zu halten. Nach 3.5 vielleicht 4 Stunden hat er mich diesmal wieder losgelassen. Und damit war es schon eine der längeren Nächte der letzten Monate.
Ich wollte raus. Ich habe im Grunde genommen gewartet, bis es draussen hell genug für die Fahrt mit dem Rad war. Mein Knie habe ich heute morgen nicht gespürt. Ob das nun daran liegt, ob das Knie sich entschieden hat, demnächst einfach während des Schlafes abzufallen (mit entsprechender Überraschung beim Versuch aufzustehen), oder nun endlich besser wird ? Ich weiss es noch nicht.
Ich wollte deswegen heute eine relativ kurze Runde fahren. Gucken, wie lang das Knie mitmacht. Am Ende wurden es 50 km. Ich habe am Ende extra noch ein paar Strassen in Lüneburg drangehängt, damit es 50 km werden. Eine Runde Zahl erschien mir einfach schöner als 49.22 km oder so. Bis dahin hatte sich das Knie noch nicht nennenswert gemeldet. Ob die Strafe dafür später kommt. Vermag ich auch noch nicht vorauszusagen.
Mitten im Wald
Die Fahrt war wirklich schön. Ich Bin einige Strassen gefahren, von denen ich wusste, das es sie gibt, aber nie einen Grund hatte dort langzufahren. Vielleicht kennt ihr das. Ihr fahrt irgendwo lang, biegt immer in die selbe Richtung ab und fragt Euch, was wohl hinter der Kurve ist. Ihr kennt die Strecke so gut, das ihr euch irgendwann wundert, wie ihr von A nach B gekommen seid, weil ihr keine Erinnerung an den Weg habt.
Mir fällt gerade auf, das das gerade eine ziemlich deutliche Parallele zum Leben ist. Was im Leben nicht geht, weil die vorherigen Entscheidungen bereits Teil des Gewebes des Lebens sind. Ein neuer Weg, ein anderer Weg wird sich immer anders einfügen, in Abhängigkeit davon, wie man vorher abgebogen ist, welche Wege man gegangen ist. Das Leben ist halt die Summe aller Wegem, nur leider ohne Kommutativgesetz. Mit dem Fahrrad ist das kein Problem. Ein Weg ist ein Weg, egal wie häufig man andere Wege gefahren ist. Einfach anders abbiegen. Neues finden.
Ausserdem … mein Rad ist ein Gravelbike. Ich wollte es heute mal artgerecht einsetzen, nicht nur auf Asphalt. Sondern abseits der einfachen Wege.
Und so steht man dann plötzlich im Wald. Auf einer wunderbar geschotterten Strecke. Ich würde mir die Waldwege öfters so wünschen. Auf Komoot hat sich dafür hier in der Gegend der Begriff Gravelautobahn eingebürgert. Und ja … eine solche ist es wirklich. Man muss nur auf die quer über die Strecke gespannten Hundeleinen achten und kann ansonsten seinen Gedanken nachhängen.
Das ist auch das schöne beim Radfahren. Man nimmt die Strecke wahr, jeden Kilometer, während im Auto oder der Bahn die Kilometer an einem vorbei huschen. Auch hier ist die Parallele greifbar: Schnell ist ein Tag eine Woche, eine Woche ein Monat und die Monate sind schnell verflossen. Und nichts ist passiert, weil man an den gleichen Stellen immer wieder gleich abgebogen ist. Weil der Beruf, weil die Sorgen, keine Zeit dafür liessen, Befürchtungen keinen Platz liessen, den anderen Weg zu gehen.
Dabei findet man dann auch versteckte Orte. Eine Brücke im Wald. Eine Brücke, unter der ich schon öfters mit der Bahn gefahren bin, aber nicht wusste, was da oben über die Bahnstrecke geht. Jetzt weiss ich es, es ist im Grunde genommen ein Waldweg auf einer Brücke … so fühlt es sich zumindestens an, wenn man auf beiden Seiten hohe Gräser und Pflanzen findet, die diesen Ort für sich zurückerobern. Ihn wieder zum Teil des Waldes machen.
Eigentlich wollte ich da gar nicht lang. Ich bin durch Bohndorf gefahren, wollte weiter in Richtung Gross Thondorf, das bei weitem nicht so gross ist, wie es der Name suggeriert. Mein Magen rumorte ein wenig und der Entschluss war rasch gefasst, die Strecke zu verkürzen. Wohl wissend, das es egal wie zu spät wäre, irgendetwas zu erreichen, wenn sich der Magen für mehr Ärger entscheiden sollte. Um es positiv zu sehen: Ich wäre im Wald gewesen.
Erinnerung und Trauer
Einfach mal sich anders entscheiden, hat heute zu noch einer Entdeckung geführt: Ich habe mich an einer Stelle von der Navigationsfunktion meines Bikecomputers leiten lassen. An einer Stelle hab ich verwundert gesehen, das dieser mich auf den linken Abzweig einer Gabelung führen wolltem, auf einen Feldweg. Eigentlich fahre ich an genau der Stelle üblicherweise rechts über einen etwas besseren Weg, nicht gut … kaum asphaltiert, aber von den Löchern und Senken auch bei hoher Geschwindigkeit gut handhabbar. Nach etwa 500 Metern ist man dann an einem Sportplatz vorbei auf einer asphaltierten Strasse, die sich dann wieder einigermassen bequem fahren lässt. Wie gesagt, da bin ich nicht lang gefahren, sondern ich bin einfach den Pfeilen auf dem Display gefolgt. Und ich wurde belohnt für diese Entscheidung.
Ich habe dort einen schönen Ort gefunden. Es ist mittlerweile auch ein Ort des Gedenken. Ich würde sagen, da kommt da eigentlich nicht so wirklich zufällig hin, wenn man sich nicht auskennt. Ohne den Hinweis des Navi wäre ich da nie lang gefahren. Ich habe schon nachgesehen, der Ort ist nicht auf Komoot eingetragen. Ich überlasse es auch für andere Leute, die von diesem Ort lesen, diesen durch Zufall zu finden.
Ausblick
Das Bild wird dem Ausblick nicht gerecht. Man guckt hier im Grunde über ein weites Feld in Richtung Lüneburg. Ein weiter Blick. Man sieht einen der Kirchtürme von Lüneburg von hier. Links man Windräder, klein am Horizont, aber die sind auf der anderen Seite von Lüneburg. Ihr findet die hochaufgelöste Version des Bildes hier.
Ich dachte: Jemand muss diesen Ort wirklich mögen. Denn es stand sogar ein Stein hier mit Namen und Geburts- und Todestag. Und ich dachte mir .. jung gestorben. Da hat jemand sein Kind verloren und sucht nun einen Ort des Trostes. Jeder trauert unterschiedlich, manchen reicht das Gedenken, manche trauen sich nicht an den Ort, an den ein lieber Mensch ruht, oder können es einfach nicht, manche haben Orte des Gedenken, die weitab vom eigentlichen Grab sind. Orte, mit denen sie etwas verbinden. Ich kenne aber auch einen Menschen, der es sich zur Regel gemacht, einmal in der Woche an jedem Tag am Grab eines geliebten Menschen zu sein. Nur kurz, fast wie für einen kurzen Gruss, ein kurzes Hallo.
Der trauernde Mensch hat hier wirklich einen schönen Ort gefunden. Dieser Mensch hat diesen Ort Sunsetbank genannt. Ich bin zwar am Morgen hier gewesen, aber ich glaube, das dieser Ort bei Sonnenuntergang traumhaft ist, obwohl er eigentlich relativ nah an Lüneburg ist. Sunsetbank erscheint ein sehr treffender Name zu sein. Dieser Mensch muss Jasper, der vom 5.10.2008 bis zum 10.1.2024 gelebt hat, wirklich gemocht haben. Der Ort ist diesem Jasper gewidmet. Eine Bank steht dort, der Stein mit Inschrift, es steht sogar ein Mülleimer (mit der Bitte diesen Ort sorgsam zu behandeln) und eine Gieskanne dort.
Mir gefällt der Gedanke an einen solchen Ort. Friedhöfe sind morbide Orte. Friedhöfe sind um den mythischen Teil ihrer Bedeutung beraubt dem Grunde genommen keine Ort, an denen man gerne ist, insbesondere im Gedanken an Teile ihrer Aufgabe. Ich verstehe, warum man sich einen anderen Ort sucht, um sich zu erinnern. Ich verstehe auch Menschen, die nicht auf Friedhöfe gehen. Sich dann einen anderen Ort der Erinnerung zu schaffen, ist nur zu verständlich. Mir kam dort der Gedanke: Ich glaube, ich würde mir auch so einen Ort schaffen. Ich würde nicht an den Ort wollen, an den jemand endgültig aus meinem Leben verschwunden ist. Mich hat es nie an die Gräber meiner Grosseltern gezogen, so gerne ich mich auch an sie erinnere. So wichtig sie mir auch waren.
So stand ich da, habe den Ausblick genossen, habe an meiner Wasserflasche genuckelt1 und hing meinen Gedanken nach. Und bin alsbald weitergefahren. Später habe ich gelernt, das wie ich diesen Ort gelesen habe, nicht ganz richtig war. Dazu später aber mehr.
Nach Hause
Ich bin da mit einem kleinem Umweg nach Hause gefahren. An einer Kinderstube vorbei. Bei Storchsens scheint die Familienplanung für dieses Jahr im vollen Gang zu sein. Ist ein wenig Kontrastprogramm zum eben Vorgefundenem. Im Hanseviertel scheint die Konversion doch noch nicht vollendet zu sein, man findet sie immer noch die Gebäude, denen man ansieht, was das ganze Viertel hier einmal war. Eine Kaserne, in denen einzelne Gebude immer noch langsam verfallen um irgendwann entweder ganz zu verschwinden oder edelsaniert wieder aufzuerstehen.
Koda
Aus Neugier habe ich dann gegoogelt, was da passiert ist. Jemand, der so einen Ort aufbaut, wird sicherlich auch im Netz Spuren hinterlassen haben. Zunächst habe ich herausgefunden, das der Ort eine Facebookseite hat. Sucht einfach mal nach “Sunset Bank Erbstorf” auf Eurer präferierten Suchmaschine. Es gibt ihn anscheinend seit 2017 in dieser Form. Zumindestens gibt es seit dem Einträge. Der Stein ist also nachträglich hinzugekommen. Trotzdem, es gibt diesen Ort in seiner Form wegen Jasper.
Nur mit einem habe ich nicht gerechnet, wahrscheinlich auch weil ich durch den Ausblick von der Kupferplakete auf dem Stein abgelenkt wurde und mir beim Namen nichts gedacht habe. Wahrscheinlich hat der fehlende Schlaf seinen Teil dazu beigetragen: Jasper … nun Jasper von Kiebitzhörn ist ein Dackel.
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Es ist schon interessant, wie sehr Radfahren in der dafür vorgesehenen Bekleidung an die Zeit als Baby erinnert. Das Radfahrlycra erinnert an Strampler, das Polster an Pampers, an den Wasserflaschen nuckelt man an Auslässen einem Nuckel nicht unähnlich. ↩