Voyeurismus des Reisenden

Es ist der ultimative Exibitionismus. Will man heute das innere der Öffentlichkeit zuwenden, braucht man sich keinen Trenchcoat mehr zu kaufen, um allerlei alte Damen im Stadtpark zu erschrecken. Mittlerweile haben ein Grossteil aller Deutschen das entsprechende Utensil griffbereit in einer Ihrer Taschen. Das Gerät nennt sich Mobiltelephon. Ich habe mich ja schon häufiger darüber mokiert, das Businesstrottel ihre Geschäftstätigkeiten dem geneigtem (aber auch dem ungeneigtem Ohr) entgegen schallen. Was hingegen immer interessant ist, ist das morgentliche Telephonat von Privatmenschen. Kaum dem partnerschaftlichen Bette entfleucht, werden die lieblichsten Bekundungen der gegenseitigen Zuneigung dem Lebensabschnittsgefährten zuhaucht. Im Grunde genommen ist dies aber nur der uninteressante Teil, auch wenn er das eine oder andere Lächeln auf die Mundwinkel zu zaubern vermag (“Hach … die Welt ist doch schön.”). Denn seien wir doch mal ehrlich. Wenn einem anderen Menschen Gutes widerfährt, ist das doch eines Anflug von Neid wert. Insofern horcht man dann doch mal ganz genau hin, wenn man den Ruch der des Verderbens und des Unglücks in der Stimme des telephonierenden Gegenübers. Man erfährt so, das die Trennung mit über dreissig keine Katastrophe ist, sondern blanke Normalität. Trennung von Haus, Hof, Hund und Kind werden in kürzester Zeit vollzogen. Gerade noch die vertraue Beziehung, jetzt schon zwangsweise Übernachtungsgast in einem Büro voller Kuscheltiere. Der Trend geht klar zur Zweit- und Drittscheidung. Kündigung. Das Ende einer Lüge, der Anfang einer Wahrheit. Das Ende eines irgendwo und irgendwann angefangenen Endes. Probleme mit den Eltern. Tod. Trennung. Schmerz. Ende. So wird man dann in 90 Minuten durch die Abgründe des realen Lebens gezogen um gestärkt in den Tag zu gehen. Denn heute war ich Zuhörer. Zwangsweise Voyeur im Leben anderer. Aber das ist okay, denn irgendwann in hoffentlich weiter Ferne werden die Leute sich an irgendeinem, und dann meinem Unglück aufbauen, während ich am Telephon nach den Gründen suche. Dann sind wir quitt.