Fahrräder - und die Teile aus denen sie bestehen - haben einen Auslegungsparameter, der sich Systemgewicht nennt. Systemgewicht heisst so viel : „Die Teile sind darauf ausgelegt, das die gesamte Fuhre ein maximales Gewicht von soundsoviel Kilos haben darf“ Bei meinem Canyon Endurace CF sind das 120 kg, aber auch erst nachdem ich die Sattelstütze getauscht habe. bei meinem Cannondale sind das angeblich 150kg, was ich so nicht unterschreiben kann, da es bisher das einzige Rad ist, bei dem ich die Felgen in ein Moebiusband verwandelt habe. Das Specialized, mit dem ich die lange Tour fahren werde, misst etwas anders und gibt ein maximales Gewicht von 125 kg für Fahrer und Ausrüstung an.

Das mag alles sehr grosszügig klingen … isses es aber nicht. Denn Systemgewicht meint nicht Fahrergewicht. Systemgewicht meint wirklich alles auf dem Fahrrad oberhalb des Punktes, an dem die Reifen auf den Boden treffen bis hin zum im Magen befindlichen Plunderteilchen, das man sich in einer Heisshungerattacke unterwegs beim Bäcker gekauft hat. Das Fahrrad mit allen Anbauteilen ist da mit drin. Offensichtlicher eben auch das Gepäck und alles andere was man so mitschleppt. Rucksack in der Tasche mit Notebook. Auch das zaehlt zum Sysstemgewicht.

Das gilt auch für die Dinge, an die man nicht denkt. Egal wie leicht die Wasserflasche ist, die man sich kauft. Das meiste Gewicht dürfte in der Flasche sein. Nen Liter Wasser wiegt nun mal etwa nen Kilo. Wasser ist oft einer der groesseren Posten beim Packen. Und dann überlegt man, ob sich das Wasser on-demand an der Tanke kauft, statt es morgens aus der Leitung zu holen und den ganzen Tag mitzuschleppen, denn Wasser ist hier weniger ein Problem … als .. als … eigentlich fast überall. Und eben nur einen Liter als Reserve mitnimmt.

Ich habe übrigens bis heute nicht wirklich begriffen, ob mit dem Gewichtslimit bei Sattelstützen gemeint ist Systemgewicht oder Fahrergewicht. Das wird so deutlich zuweilen nicht geschrieben. Denn was interessiert es die Sattelstütze, wieviel das Rad da runter wiegt … die Stütze hat genug mit dem Hintern auf dem Sattel zu tun. Da gebrochene Sattelstützen an besonders empfindlichen Teilen Schmerzen bereiten können, rechne ich hier allerdings auch sehr konservativ.

Recht früh in der Planung habe ich mir ein Spreadsheet gebaut, um das Gewicht der Fuhre zu kalkulieren. Doch dann sitzt mal erst mal an seinem Tisch und fragt sich „Was wiegt eigentlich eine Jeans, was wiegt eigentlich eine Unterhose?“. Da hatte ich wirklich keine Idee. Nicht mal eine neblige Ahnung.


Die Frage nach dem Gewicht von Kleidung ist nämlich stets „Mehr als man denkt“. So sitzt man dann im Januar Sonntags an seinem Schreibtisch und wiegt Unterhosen. Wiegt seine Jeans. Und fängt an zu planen. Jeans sind doof. Lassen sich kaum klein falten und wiegen relativ gesehen Tonnen. Ich habe sie jetzt durch leichte Wanderhosen ersetzt. Gewicht deutlich reduziert. Im Gewichtsbudget, das von einer meiner Jeans verbraucht wird, habe ich jetzt zwei lange und eine halbe kurze Hose. 


Die Frage ob man mit Klickpedalen oder mit normalen Schuhen fährt, spielt da auch mit rein. Man läuft auf Klickpedalen wie eine ballettanzende, betrunkene Ente. Man braucht also zwingend ein zweites Paar Schuhe um abends mit Freunden etwas sinnvolles zu machen. Ja ich weiss, auf MTB-Schuhen kann man besser laufen, aber aus eigener Erfahrung weiss ich: Trotzdem nicht gut. Abendschuhe sind von Nöten. Ich hatte ja über diese rollbaren, sehr leichten Barfussschuhe von Meindl nachgedacht, fand aber bei näherer Inaugenscheinnahme, das diese ganze Klasse Fussbekleidung wie Stoppersocken auf Steroiden aussieht und habe aus ästhetischen Gründen Abstand davon genommen. Und das bedeutet bei einem MAMIL schon etwas.


Am Ende fragt sich, ob man nicht vielleicht doch die Plattformpedale ans Rad schraubt und sich das zweite paar Schuhe spart. Mit dem sehr schönen Nebeneffekt, das man sich die ein oder zwei Blamagen spart , sich beim Aushaken an der Ampel auf die Nase zu packen. Was bei der geplanten Strecke so rein statistisch wahrscheinlich einmal - mit Pech zwei mal - passieren dürfte. Nicht umfallen heisst weniger Schürfwunden, also auch kleineres Verbandspack und kleinere Dose Sprühpflaster ;) Yay, weniger Gewicht. Kleinvieh macht halt auch Mist.

Man ist ab einer bestimmten Körpergrösse ohnehin doppelt bestraft. Man wiegt sowieso schon mal per se mehr. Vom miesen Luftwiderstand mal ganz zu schweigen, was für mich von daher interessant ist, da Wind an der Küste immer von vorn kommt. Dann haben die Klamotten auch mehr Stoff. Heisst auch wieder mehr Gewicht. Mehr Stoff heisst auch grösseres Faltmass, mehr Raum in den Packtaschen, ggf. größere Packtaschen, auch dort wieder mehr Gewicht. Argh!

Nebenbei angemerkt: Ich frage mich auch ernsthaft, wer auf einem Rad in XXL (so für Leute über 2m) mit einem Systemgewicht von 110 kg fahren kann. Das erscheint mit ein sehr kleiner Markt zu sein.

Wesentliches Instrument, um da gegenzusteuern ist übrigens man selbst. Man überlegt schon, ob man wirklich das Stück Kuchen braucht, wenn man im Kopf hat, das das ggf. eine Unterhose weniger in der Radtasche ist. Ich habe für die Tour 16kg abgenommen, nachdem die letzten Jahre viele der Gewichts- und Gesundheitserfolge aus 2019 und 2020 erst langsam und dann deutlich schneller negiert hatten. Das sind 271 Unterhosen. Sollte reichen.

Eine Zeitlang hatte ich die glorreiche Idee Packstationen zu nutzen: Paket mit frischer Wäsche aus der Packstation holen, schmutzige Wäsche luftdicht verpackt wieder in den Karton, Aufkleber drauf und nach Lüneburg zurückschicken um nach der Rückkehr vor einigen vor sich hin müffelnden gelben Kartons zu stehen. Aber es stellt sich raus, das das wahrscheinlich nur ein Kilo einsparen würde, weil man ja trotzdem Reserven für irgendwelche unangekündigte Briefträgerarbeitskämpfe beinhalten müsste. Die Drohne macht macht da mehr aus, die Wasserflasche macht da mehr aus und das iPad macht da ebenfalls mehr aus. Also den Aufwand nicht wert. Ich wollte auch nicht aufgelöst an die gelbe Tür trommelnd vor einer Paketstation stehen, weil aus irgendeinem Grund Aber ich werde mir die Idee für richtig lange Touren aufheben.

Ich habe trotzdem an anderer Stelle technisch nachgerüstet. Ich habe mir einen Laufradsatz bauen lassen (deutlich preisgünstiger als man denkt, und deutlich bessere Qualität), dessen Felge ein Systemgewicht von 140kg und ein bisschen trägt. Es gibt wirklich übrigens noch Felgen, die in Deutschland gefertigt werden, genauer in Braunschweig. Mit Speichen, die auch für Downhill zugelassen sind (also jener Sportart bei der Leute „Krankenhaus“ schreiend irgendwelche Berge runterfahren). Schwachstelle wird vermutlich der Freilauf sein. Das Gewicht des Laufradsatzes ist trotzdem halbiert. Ein Packsystem, das sich nicht auf den Rahmen abstützt, sondern auf einer speziellen Steckachse, den Rahmen also zu einem grossen Teil aus der Gleichung nimmt. Ich könnte das Gewicht noch weiter auf technischer Ebene reduzieren, in dem die Klingel weglasse. Der Freilauf hat sich als so laut herausgestellt, das man rein damit Fussgänger auf sich aufmerksam machen kann. Aber die lütte Klingel wiegt nicht so viel, als das ich mich mit einem uniformierten Ordnungshüter darüber streiten möchte.

Auch so eine Schlussfolgerung der letzten Monate. Vielleicht hätte ich mich damals einfach auf Rad setzen sollen, als der Plan irgendwie sich nach vorne gedrängelt hat. Ich fang an alles „overzuengineeren“. Berufskrankheit wahrscheinlich. Und deutlich besser ist das Wetter auch nicht. Nur etwas wärmer.

Written by

Joerg Moellenkamp

Avid bicyclist, likes california, dreams to combine both.