Ich bin jetzt wieder zurück im August 2025. All das, was ich vorher geschrieben habe, ist die Geschichte, wie ich zu jenem Brief kam. Jenem Brief in dem stand „Vorstellung in der Herzchirurgie empfohlen“. Ein Brief, der vieles beschleunigte, was mich vorher schon beschäftigte.

Dieses Kapitel entstand teilweise in dieser Zeit. Man wird dem Text anmerken, das die Gedanken etwas morbide sind, etwas düsterer. Es war die Zeit vor der OP. Als alle Gedanken sich irgendwie auf die OP konzentrierten. Und aus den Gedanken, wenn etwas schiefgehen würde.

Es ist so weit

Nachdem ich diesen Brief verdaut habe, rief ich erst mal bei meinem Kardiologen an. „Ich brauch einen Termin. Mein Aneurysma ist so weit. Ich möchte mit dem Doc über eine OP sprechen“. Ich habe es anders ausgedrückt, aber es war die Essenz des Gesprächs. Ich habe dann sehr rasch einen Termin erhalten. Vielleicht auch wieder ein Zeichen, das diese Diagnose ernst zu nehmen ist. Wenn man das Wort Aneurysma in den Mund nimmt, gehen Dinge plötzlich deutlich schneller.

In diesem Termin einigte ich mich mit meinem Kardiologen darauf, dass ich jetzt die OP wirklich angehen würde. Wie drückte er sich aus: „Wir müssen zusehen, sie auf die sichere Seite zu bringen“. Und genau dort wollte ich auch hin. Endlich wieder sicher sein.

Und der Ablauf startete erneut: Erst kam die Präoperationsdiagnostik, die ich vom letzten Mal schon ein wenig kannte. Ein Schluckecho musste ich nicht nochmal machen. Warum, weiss ich gar nicht so genau.

Dafür hatte meinen zweiten Herzkatheter. Auch hier kam wieder nichts Besorgniserregendes bei raus. Herz in Ordnung. Aorta kaputt. Wusste ich ja. Mein Kardiologe sagte mir nach dem Katheter: „Wir sind ja schon ein altes Team“. Sechs, fast sieben Jahre nun. Dezember 2018 bis heute. Ich vertraue ihm. Ich hatte mein siebtes oder achtes CardioMRT. Ich weiss nicht, die wievielte Ultraschalluntersuchung. Mein Kardiologe ist nicht viel älter als ich. Ich denke ein paar Jahre hat dieses „Team“ noch. Ich denke nach meiner Verrentung muss ich mir einen neuen Kardiologen suchen. Aber mein Plan war ja auch, als Rentner nach Fehmarn zu ziehen. Und dann ist ein Kardiologe in Lüneburg einfach ein wenig unpraktisch. Wobei, Lüneburg ist schön. Könnte ich trotzdem gelegentlich hinfahren. Ultraschall am Vormittag, Kaffee am Nachmittag.

In jener Zeit des Herzkatheters waren bei allen Ärzten, die ich in dieser Zeit aufsuchen musste, Studenten. Oder genauer gesagt Studentinnen. Es waren tatsächlich nur weibliche zukünftige Ärzte. Es müssen universelle Praktikumswochen gewesen sein. Schon bei meiner Hausärztin saß eine Studentin mit im Raum. Als mir der Gedanke kam, dass ich ihr sagen sollte, dass sie wenn sie nur eine Sache von meiner Hausärztin lernen wollte, sie ihren Umgang mit Patienten sich abschauen sollte, war meine Hausärztin schon wieder im Sprechzimmer. Und das war mir dann doch zu peinlich, auch wenn es mir eigentlich wichtig war.

Eine andere Studentin guckte im Krankenhaus beim Herzkatheter zu. Ich sagte am Ende „Ich hoffe es war erkenntnisreich“. War es wohl. Auf jeden Fall war ich anscheinend durch das Beruhigungsmittel, das man mir im Laufe des Herzkatheters gegeben hatte, wieder einmal besonders redselig.

Für mich (und meinen Arzt) war es insoweit erkenntnisreich, als das ich wieder lernte, dass mein Herz völlig in Ordnung war und ich mich auf den nächsten Schritt konzentrieren konnte. Es war wieder das erwartete Ergebnis.

Den Termin für die Operation organisierte ich dann selbst mit der Klinik. Von meinem ersten Versuch wusste ich noch, wen ich dafür anschreiben musste. Ich wollte das so schnell wie möglich hinter mich bringen.

5 Prozent

Eine Operation ist erst mal per se eine Körperverletzung, so dass sich die Ärzte eine „Gehen sie aus dem Gefängnis“-Karte unterschreiben lassen. Diese Karte wird etwas professioneller wohl Aufklärungsbogen genannt. „Ich habe Dir erzählt, was wir machen, Ich habe Dir erzaehlt, was passieren kann. Willst Du mit mir gehen? Also in den Operationssaal“. Ja oder Nein. Vielleicht geht nicht. Denn dann bleibt man halt draußen, genauso wie bei einem „Nein“.

Jedweder Eingriff ist immer ein Risiko. Es gibt keine risikolose Operation. Ich erinnere mich vor einigen Jahren auf einem Parkplatz in Hannover gewartet zu haben, bis die vereinbarte Zeit für einen beruflichen Termin gekommen war. Ich war wider allen Erwartens deutlich zu früh in Hannover angekommen.

In einer Radiosendung, die ich während des Wartens hörte, ging es um nicht so gut ausgegangene ambulante Operationen und deren Folgen. Operationen, bei denen ich eigentlich dachte „Okay, hört sich jetzt nicht soooo wild an“. Aber Menschen waren da dennoch schwer behindert oder tot aus diesen Operationen gekommen. Teilweise wegen Fehlern, teilweise aber auch wegen verdammtem Pech.

Wenn es also keine risikolose Operation gibt, entsteht eine sehr offensichtliche Frage im Kopf, wenn man selbst vor einer Operation steht: Was ist eigentlich mein persönliches Risiko für meinen Gang zum Chirurgen.

Vor der Frage des Risikos stand ich schon 2019 und ich habe mich auch in diesem Jahr wieder quer durchs Internet recherchiert, um irgendwelche beruhigenden Worte zu finden. Ich habe die Studienlage recherchiert. Ich bin auf jedem Risikokalkulator gewesen, den ich finden konnte.

Was war nun das Risiko meiner Operation? Die Literatur sagt: So allgemein 5%. 5 von 100 Leuten ist 30 Tage nach der OP nicht mehr unter uns. Autsch. Das klingt nach viel.

Ist auch viel, wenn wir für viele Operationen denken „Jo, ist unangenehm, du wirst es aber überleben“. Aber um sich wenigstens ein bisschen zu beruhigen: In dieser Zahl ist das gesamte Patientenkollektiv. Auch die multimorbiden Personen, die noch ganz andere Probleme haben. Die ein sehr großes Risikoportfolio mit sich rumtragen. Das zieht das Risiko deutlich nach oben.

Mein Risiko war deutlich geringer, wenn ich den ganzen Kalkulatoren glauben konnte. Euroscore II sagte 0,96%. Ein kürzlich erschienener amerikanischer Rechner für Aortenoperationen sagte so um und bei 0.5%. Von 200 kommt einer nicht mehr lebend aus dem OP. Klingt etwas besser. Aber auch nicht superberuhigend. Genügend „nicht gut“ um sich Sorgen zu machen.

Aber um das mal in einen Kontext zu setzen: Kaiserschnitt hat so über alles ein Risiko von 0,04. 10-mal Kaiserschnitt ist also einmal Aortenoperation bei Jörg. Ich finde es auf Basis dieser Zahlen erstaunlich das sich Frauen ohne medizinische Indikation für einen solchen entscheiden. Nicht falsch, nur erstaunlich. Denn wie heißt es korrekterweise: Jeder trifft für seinen Körper die eigene Entscheidung. Und normale Geburt ist schon an sich risikoreich genug.

Blinddarm hatte 0,12% Sterblichkeit im Jahr 2017, wenn es kompliziert wird, wurden 3,2% draus. Man mag denken: Dann ist das ja mit 0.5% gar nicht so schlimm. Vielleicht nicht. Aber 0.5% sind mein Risiko. 0,12% ist das Risiko aller. Auch jener Fälle, die keinen guten Ausgangspunkt haben.

Mein persönliches Risiko an einem Kaiserschnitt zu versterben, ist 0%. Offensichtlich. Mein persönliches Risiko, bei einer unkomplizierten Blinddarm-Operationen nicht lebendig vom OP zu kommen, ist allerdings bei mir ebenso praktisch 0%.

Es besteht also da schon ein gewisser Unterschied zwischen Blinddarm und Aorten-OP, auch wenn sich statistisch die OPs näher anhören als sie sind, wenn man die Operation über das gesamte Patientenkollektiv vergleicht.

Oder sich zur Selbstberuhigung an der Statistik vergreift und nicht miteinander vergleichbare Werte miteinander vergleicht. Das Gesamtrisiko eines Kollektivs gegen mein persönliches Risiko. Obwohl mir völlig klar, was ich da mache, half das sogar eine Zeit. Sich selbst zu veräppeln kann ein wirksames Beruhigungsmittel sein.

Ich habe die Risikokalkulatoren studiert, in der Hoffnung Sicherheit daraus zu gewinnen. Was auch in einem gewissen Maß gelang. 0.5% klingt deutlich überlebbarer als 5%. Aber 0.5% ist immer noch genug, sind jede Menge Gedanken zu machen. Und die habe ich mir auch gemacht. Sehr reichlich.

Allerdings haben Kalkulatoren das Potential die Gemütslage in beide Richtungen zu bewegen. Man kann sich mit diesen Kalkulatoren sehr nervös machen. Sie sind auch eher für Ärzte gemacht, um abzuschätzen, ob eine Operation das Risiko wert ist. Wenn das Sterblichkeit einer OP 20% ist, dann führe ich keine Operation durch, wenn das Sterblichkeitsrisko einer OP deutlich geringer ist. Sie sind nicht für den Laien, der vor einer OP nervös ist. Vielleicht muss daher hier die Empfehlung sein, sich eben nicht mit diesen Werkzeugen zu beschäftigen. Man braucht vermutlich einen Arzt, der diese Zahlen in einen Kontext setzt.

Zufall

Warum gibt es bei solchen Operationen selbst bei gesündesten Personen plötzlich Probleme, die die OP katastrophal ausgehen lassen. Meine Vermutung als Laie: Weil eben immer auch der Zufall und kleinste Nebenbedingungen damit reinspielen.

Es gibt anscheinend jede Menge Zusammenhänge, die einem nicht so richtig klar sind, so dass Entscheidungen aus der Vergangenheit plötzlich Bedeutung für die Gegenwart erhalten.

Es gibt einen guten Grund, warum man auf das Studium noch viele Jahre Facharztausbildung draufsatteln muss. Sich durch Scholar.google.com zu wühlen ersetzt das nicht. Und das sind glaube ich genau diese Kleinigkeiten. Und trotzdem gibt es so viele Leute, die denken das sie nach etwas Recherche im Netz glauben, mehr als Ärzte zu wissen.

Es sind anscheinend Kleinigkeiten, die aus Routine ein Problem werden lassen. Ich möchte dazu eine Geschichte aus meiner eigenen Vergangenheit erzählen, die plötzlich Auswirkung auf die Gegenwart hatte:

Ich bin heute froh, eine kleine, ambulante OP im Oktober/November 2022 nicht gemacht zu haben. Mittlerweile weiss ich, dass es da eine sehr merkwürdige, ziemlich unschöne Wechselwirkung mit der großen Aorten-OP gegeben hätte. Bis hin zum anaphylaktischen Schock auf dem OP-Tisch bei der großen OP. Nicht notwendigerweise, aber möglicherweise.

Auf den Zusammenhang zwischen der Antagonierung von Heparin - welches für die große OP unbedingt notwendig war - und der kleinen OP muss man als Laie auch erst mal kommen. Heparin habe ich reichlich während der OP bekommen und das musste im Rahmen der OP auch antagoniert werden.

Und das mein ich mit Kontext, der letztlich über das Risikoprofil entscheidet.

Zu sagen, ich hätte die kleine OP damals deswegen abgesagt, wäre ein unlauteres nachträgliches Neuschreiben der Geschichte. Ich wusste das damals schlicht nicht. Hat mir auch niemand gesagt. Wissen vermutlich auch nur wenige Ärzte.

Mein Arzt konnte es mir damals nicht sagen, weil ich ihm nicht vom Aortenaneurysma berichtet habe. Ich hielt es für eine 15 min OP unter örtlicher Narkose schlicht für irrelevant. Ich sagte auch nicht beim Zahnarzt Bescheid, dass ich ein Aneurysma habe.

Und da sind wir vielleicht beim nächsten Hinweis von meiner Seite an den geneigten Leser: Es gibt nichts, das unwichtig ist im Gespräch mit dem Arzt und lass deine Ärztin entscheiden, was relevant ist. Das gilt auch und gerade für Krankheiten oder Dinge, die einem vielleicht unangenehm sind. Ich vermute ein Arzt mit etwas Berufspraxis hat sehr selten eine Situation, in denen sie oder er denkt: „Ieeeh, das habe ich ja noch nie gehört“. Also kann man ihr oder ihm auch gleich alles erzählen. Es könnte das Leben davon abhängen. Und man will har Dr. House nicht wieder zeigen, dass er mit seinem Dogma „Everybody lies“ recht hat.

Es gibt Wege, das genannte Problem, was nach dieser kleinen OP entstanden wäre, zu umgehen. Man kann die Behandlung darauf vorbereiten. Man muss es dem Arzt nur sagen: Es hätte alles ein wenig komplizierter gemacht in einer Situation in der man so wenig „kompliziert“ wie möglich haben will. In der man möchte, das alles fest nach Standard, nach Leitlinien verläuft.

Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Es war ein Amalgam vieler Gründe, warum ich auf die kleine OP verzichtet habe. Aber: Hätte ich das gewusst, was ich kurz vor der großen OP über die Wechselwirkung gelernt habe, hätte ich die kleine OP damals aber vermutlich überhaupt nicht ins Auge gefasst. Weil die große OP unabwendbar in meiner Zukunft lag. Das wusste ich seit 2018.

Ich bin wie gesagt, heute froh, diese nicht gemacht zu haben. Ich verstehe auch jetzt nicht alle Zusammenhänge, ich wäre aber zumindest mit deutlich größerer Verunsicherung in die Narkose gegangen.

Unbestimmtheit

Man sitzt also wartend, dass der Tag der OP kommt, vorm Rechner und macht sich mit allerlei Daten verrückt. Es geht so vieles durch den Kopf. Und viele der Gedanken sind wirklich komisch. Viele sehr morbide.

Ich habe einige Zeit gebraucht, um herauszufinden, was die Situation so merkwürdig machte. Aber irgendwann kam dann die 0.5W-Erleuchtung: Die Krankheit, die ich hatte, erzeugt keinen wirklichen körperlichen Leidensdruck. Es geht einem gut. Es ist nicht so, dass der Blinddarm platzen könnte, die Schmerzen der Bandscheibe einen in den Wahnsinn treiben, ein Tumor immer weiter wächst. Oder mein Herz oder meine Klappen mich kaum durch die Welt zu tragen vermögen.

Dennoch ist man chronisch krank. Man ist hochfunktional chronisch krank. Dieses klassische „Ich habe eine Krankheit, die Du nicht siehst“ (etwas das viele Menschen kennen) ist erweitert um ein “Ich habe eine Krankheit, die ich körperlich nicht merke”. Und dennoch tödlich sein kann.

Man entscheidet sich dann irgendwann dafür, aus diesem Zustand heraus, der sich aus körperlicher Sicht gar nicht so sehr (bis überhaupt nicht) von Normalität unterscheidet, einen Eingriff vorzunehmen. Weil es die Vernunft diktiert.

Man denkt trotzdem „Warum eigentlich nicht so weiter machen? Ist doch bis jetzt auch gut gegangen… mir gehts auch so gut“. Ich weiss von Menschen, die das genauso halten. Die sich nicht operieren lassen. Es geht mir doch gut. Ich sage ja, das macht diese Krankheit so perfide.

Ich habe auch gelesen, dass manche – insbesondere ältere Menschen, die sich des operativen Risikos bewusst sind – denken, dass einem das geplatzte Aneurysma zu einem raschen Tod verhelfen würde. Und das dieser einem prolongiertem Siechtum vorzuziehen sei, das sich aus anderen Krankheiten ergeben kann. Oder einem Siechtum durch eine Komplikation der Operation. Ich finde den Standpunkt interessant und nachvollziehbar. Ich habe aber wahrscheinlich noch nicht das Alter, mich selbst auf diesen Standpunkt zu stellen. Auch wenn ich dabei an den Spruch meiner Oma denken muss, das Altwerden nicht für Angsthasen sei.

Ich möchte allerdings auf etwas anderes hinaus. Ich glaube, das Merkwürdige an dieser Situation ist folgendes: Der Tag, wann ein Aneurysma ruptiert, ist unbestimmt. Der Tag, an dem man stirbt, ist unbestimmt. Mit der Entscheidung für eine schwere OP bestimmt man diesen Tag mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 0.5-1% war das für mich ein Tag am Ende des September 2025. Und dabei sind noch nicht mal die ganzen nicht-tödlichen Komplikationen in der Kalkulation drin, Schlaganfall zum Beispiel. Man geht sehr bewusst ein lebensveränderndes, vielleicht lebensbeendendes Risiko ein.

Man bestimmt durch seinen Willen etwas das unbestimmt ist, das unbestimmt bleiben sollte. Zwar nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit, aber dadurch legt man selbst das Gewicht seines Willens durch die Entscheidung in die Waagschale.

Es gibt andere Krankheiten, die machen einem klar, dass die restlichen Tage auf der Welt nicht besonders viele Seiten in Tagebüchern benötigen werden. Auch das nimmt zu einem gewissen Teil die Unbestimmtheit aus der Situation. Aber auf eine völlig andere Art und Weise. Es ist unvermeidbar, nicht verhandelbar und vor allen Dingen nicht der eigenen freien Entscheidung unterliegend.

Es ist etwas, das wir nicht steuern können. Eine Zelle entartet irgendwo im Körper und startet einen Prozess, den wir nicht immer aufzuhalten vermögen. Und wo wir uns dem Zufall, dass es einen trifft, quasi unterordnen müssen.

Aber im Falle der elektiven Aneurysma-OP ist das anders. Es ist eine Operation, die auf rationalen Entscheidungen basiert. Es ist eine Investition in eine Zukunft. Ein Risiko eingehen, um ein anderes Risiko auszuschließen. Während uns der Kopf sagt, es ist vernünftig, sich operieren zu lassen, wenn das Risiko des Aneurysmas höher ist als jene der OP, will die Angst im Kopf da kein Wort von hören, steckt sich die Finger in die Ohren und lärmt das Gehirn mit komischen Gedanken zu.

Das Risiko der Ruptur ist unsichtbar. Ich muss dafür nichts entscheiden. Es ist da. Man gewöhnt sich daran. Das Risiko einer Operation nimmt seinen Anfang in einer Entscheidung. Eben jene Operation durchzuführen.

Wie man damit umgeht, hat glaube ich viel mit der eigenen Persönlichkeit zu tun. Ich gehe mit Statistik, mit Wissenschaft, mit noch mehr Rationalität, mit dieser Entscheidung um. Ich las sehr viel, fast zuviel über die Operation.

Meine Verwandtschaft hatte mittlerweile gegen Ende September die Angst entwickelt, das ich in der OP aufwache und nur sage “Was Sie da machen, ist aber so nicht von der Studienlage gedeckt ….” um gleich danach eine schockierte Anästhesist:in und eine sprachlose Chirurg:in hinterlassend wieder ins künstliches Koma der Narkose zu verschwinden. Den Ärzten zu laymansplainen, was sie zu tun und zu lassen haben. Hätte ich nie gemacht. Ich weiss es besser, als Experten ihres Faches ihren Job zu erklären. Ziehe selbst ein wenig die Augenbrauen hoch, wenn das jemand im Bereich meiner Expertise macht. Und was Du nicht willst, das man dir tut, das füg auch keinem anderen zu.

Es sind so viele Fragen, die einem durch den Kopf geistern: Warum ist es eine gute Entscheidung? Warum ist es eine richtige Entscheidung? Ist es das Risiko wert? Ich konnte es für mich sagen: Ja, ist es mir wert. Der Jörg von 2018 bis 2025 hat mich einiges gekostet. Ich ging mit dem Gedanken hinein, dass ich den Jörg von vor 2018 zurückhaben will. Nur mit weniger Gewicht vielleicht ;)

Ich konnte den Jörg von vor 2018 leider nicht dauerhaft in der Zeit von 2018 bis 2025 heben. Ich habe es versucht. Auch wenn ich mich sehr angestrengt habe. Aber in Anstrengung, in Anspannung zu leben ist kein Zustand, der sich auf Dauer durchhalten lässt.

Die Frage ist, wie man der Angst die Stimme vielleicht nicht nimmt, aber sie so weit unter Kontrolle bekommt, dass sie im Chor der Stimmen im Kopf eine gleichberechtigte Rolle zu Stimmen wie Hoffnung, wie Mut hat. Nicht mehr den Chor der Emotionen dominiert.

Die Evolution hat uns Bewusstsein und Willen gegeben, unser eigenes Schicksal in die Hand zu nehmen und es zu formen. Und ich bin der festen Meinung, dass es unser Recht und unsere Pflicht ist, genau. ist das zu tun. Deswegen fühlt sich aber die ganze Situation nicht weniger merkwürdig an, wenn man auf den Tag wartet, an dem man operiert wird.

Die Angst nimmt einem keiner

Man wird von keinem Arzt in dieser Situation hören „Machen sie sich keine Sorgen“. Ärzte sind sich sehr bewusst, welches Risiko die Operation zur Beseitigung eines Aneursysmas beinhaltet. Auch jene, die in einem ganz anderen Fachbereich arbeiten. Irgendwie weiss jeder, dass das ernst ist.

Es sind immer Wahrscheinlichkeiten im Spiel. Deswegen sagt auch kein Arzt diese Worte. Nur das man allerbeste Voraussetzungen hätte. Man noch jung wäre. Das es unwahrscheinlich wäre, wenn etwas Katastrophales passiert. Aber Sicherheit vermag kein Arzt zu geben, weil es hier keine Sicherheit gibt.

Ich habe mich nur über eins geärgert: Ich war in den Wochen vor der OP bei allerlei Vorsorgeuntersuchungen. Ich wollte wissen, ob ich noch irgendein anderes Problem habe, bevor ich mich auf die OP einlasse. Denn die Aorta zu reparieren, macht vermutlich wenig Sinn, wenn man eine dringendere, andere Baustelle im Körper hat.

Ich habe jedem dieser Ärzte gesagt, dass mir diese OP bevorsteht. Viel zu oft wurde ich mit einem „Viel Glück“ verabschiedet. Ich bin beruflich großer Fan von jenem Spruch, den James Cameron dem Charakter „Lindsey Brigman“ in Abyss in den Mund legt: „Glück ist kein Faktor“. Der Beruf von Ärzten ist es zu heilen. Deswegen hoffe ich immer das Glück auch in der Profession kein Faktor ist.

Mir ist auch bewusst, dass da manchmal auch Glück im Spiel ist. Wobei ich Glück für eine Umschreibung für einen unbekannten Faktor halte, der nicht bekannt ist, aber Einfluss hatte. Glück ist ein menschliches Konstrukt. Kein wissenschaftliches. Ein Lottogewinn besteht nicht im Glück die richtigen Zahlen angekreuzt zu haben, sondern im Zufall, dass man auf seinem Lottoschein die richtigen Zahlen gewählt hat.

Glück ist ein auf den Zufall draufgepropftes menschliches Konstrukt, um den Zufall zu bewerten. Glück ist Zufall der das Leben verbessert, Pech ist Zufall, der Wünsche unerfüllt bleiben lässt. Natürlich hat der Zufall keinen Einfluss, wenn man etwas geschafft hat, etwas erfolgreich ist. Wenn man aber etwas verbockt hat, so richtig tiefgreifgend, dann wars Pech.

Nur will ich davon nicht auch noch kurz vor der OP etwas hören, das nahelegt, das Glück und damit Zufall ein Faktor ist . Insbesondere wenn man davon überzeugt hat, dass das Glück eher ein seltener Gast in hiesigen Gefilden ist.

Der Spruch von James Cameron (er wird ihm zumindest zugerechnet, wer etwas das erste Mal gesagt hat, ist ja zuweilen etwas schwer herauszufinden) ist übrigens eigentlich noch länger:

Luck is not a factor. Hope is not a strategy. Fear is not an option.

Ich würde den noch erweitern um „Failure is not an option“, ein Satz, der den von Ed Harris gespielten Gene Kranz in den Mund gelegt wurde. Kranz hat diesen später für sein großartiges Buch übernommen.

Ich mag diese Aussage. Man sollte vielleicht danach zielen. Im Beruf, aber auch in Privaten. Angst ist keine Option, um mit einer Krankheit zu leben. Hoffnung, das schon nicht passieren wird, genauso wenig Hoffnung, dass sich schon alles ohne Kampf sich so ausgestalten wird, wie man es sich wünscht. Egal was man für sich selbst plant. Es sollte kein Glück sein, das die Krankheit nicht zur Katastophe werden laesst. Aber man sollte nicht zu enttäuscht sein, wenn alles anders kommt, weil Glück, Hoffnung, Angst und Fehlschlag untrennbarer Teil des Lebens sind.

Diese kombinierten Glückskeksweisheiten habe ich mir als Mantra für die Ärzte vorgestellt. Und wahrscheinlich ist es auch das Mantra von Chirurgen, die genau wissen, dass sie das Leben des- oder derjenigen, den sie da gerade auf Tisch haben, in ihren Händen halten.

Das mir andere Ärzte dann „Viel Glück“ wünschten, fühlte sich falsch an. Das klingt so wie „Hals- und Beinbruch“ vom Orthopäden. Ich weiss, dass sie das nur nett meinten. Aber trotzdem. „Viel Erfolg.“ hätte ich vielleicht lieber gehört.

Psyche

Ich schrieb, dass diese Krankheit perfide ist. Nur weil Du die Krankheit nicht siehst, nur weil ich sie nicht körperlich merke, heißt das nicht, das einen die Krankheit nicht verändert. Es sind diese Veränderungen, die das einen anderen Menschen aus einem machen. Und das sind viele kleine Dinge, die einem erst auffallen, wenn man sich selbst aus anderen Gründen unter das geistige Mikroskop der Selbstreflektion, der Vergangenheitsschau legt.

Es ist zwangsläufig, dass irgendwann die Selbstschau sich darauf konzentriert, wie man vor und nach einem wichtigen Moment in der eigenen Biografie war. Unterschiede sind einfacher zu erkennen als Erklärungen. Beispielsweise vor und nach der Diagnose. Der Blick durch dieses Mikroskop ist ein strenger und man sollte sich nicht allzu sehr wundern, wenn man dabei zunächst nicht gut wegkommt.

Spätestens dann sollte man auch den Blick auf jene Dinge wenden, die großartig waren, die gut waren. Ich habe in den letzten 6 Jahren großartige Menschen kennengelernt, Menschen deren Leben ein Buch schreibt, das sich zu lesen lohnt, habe Dinge gelernt, die mich als Mensch weitergebracht haben. Macht man das nicht, wird die Reflektion zu einer Lektion in Depression. Und da will man gerade in dieser Situation definitiv nicht hin. Weil das ist mehr oder minder nur „sich selbst fertig machen“. Glaubt mir …

Es ist eben nicht so, dass man einfach nur nicht mehr schwer hebt. Die Krankheit und die daraus resultierenden Einschränkungen werden Teil der eigenen Persönlichkeit. Die Sorgen, wenn sich irgendetwas komisch anfühlt. Darf ich etwas? Will ich etwas? Kann ich etwas? Alles Neue wird unter diesem Blickwinkel betrachtet.

Ich habe gemerkt, dass die als Korken im Strudel tanzenden Gedanken immer häufiger wurden. Das ist für andere Menschen nur schwer erträglich und ich verstehe das.

Und das all das wollte ich nach über 6 Jahren nicht mehr. Weil es anstrengend ist. Weil es mit persönlichen Kosten verbunden war, die ich nicht mehr zu zahlen bereit war.

Aus dieser Perspektive gesehen ist es nicht nur der Körper, der durch die Operation repariert werden sollte, sondern auch die Seele. Ich weiss, dass ich irgendwann in der Selbstschau mich fragen werde, wie sich der Jörg vor und nach der OP unterscheiden.

Ich will die nächsten Teile noch nicht vorwegnehmen, da zum Verständnis meiner diesbezüglichen Vermutungen die Geschehnisse rund um die OP wichtig sind. Aber ich glaube, dass auch dort der Unterschied erheblich sein wird. Aber ich habe Grund zu der Annahme, dass es okay sein wird. Ich hätte gern auf diesen weiteren Tritt in den Hintern in Form der OP verzichtet. Aber er war - denke ich - genauso notwendig, wie der erste.

Im morgigen Text bin ich in den unmittelbaren Tagen vor der OP und wie Kreuze auf einem Formular plötzlich zu existentiellen, tiefgreifenden Fragen wurden und ich dieses Formular völlig unterschätzte

Written by

Joerg Moellenkamp

Grey-haired, sometimes grey-bearded Windows dismissing Unix guy.