Die Zeit der Vorbereitung ist fast vorbei. Es geht ins Krankenhaus.
Retail Therapy
Ich war die Tage vor der OP in manchen Sachen ziemlich verpeilt. An vielen Stellen. Aber die ganzen Besorgungen lenkten mich ab. Von einer Geschichte möchte ich hier erzählen. Es war die Zeit, in der Apple neue Uhren herausgebracht hat. Ich war mit meiner Garmin nicht mehr so recht zufrieden und überlegte schon lange, ob ich wieder in das Lager der Apple-Uhren zurückkehren würde. Ich erinnerte mich auch an einen Fediverse-User, der die Uhr zur Autorisierung an mehreren Macs verwendete.
Okay, das ist jetzt nichts Besonderes. Warum ich das hier erzähle? Es kamen Bedenken aus völlig unerwarteter Richtung. Denn eine Stimme im Kopf sagte mir: „Meinst Du nicht, dass Du damit warten solltest bis nach der OP? Ist doch so viel Geld. Und wenn Du das gar nicht nutzen kannst? Es kann doch sowviel passieren“
Und dann steht man im Wohnzimmer, schüttelt den Kopf und denkt „Jörg, das hast Du jetzt nicht wirklich gedacht“. Ich kam mir bei dem Gedanken vor wie jene alten Damen in einem Witz, den ich vor vielen Jahren gehört habe. Treffen sich zwei ältere Damen auf dem Friedhof, mit der Grabpflege beschäftigt. Eine sehr alte Dame sagt zur anderen: „Ich habe mir jetzt eine neue kleine Harke für die Grabpflege gekauft“. Sagt die andere sehr alte Dame: „Ob sich das denn noch lohnt?“. Ich bin mir gerade sicher, das ich einen Teil des Witzes ausgelassen habe, denn so witzig, dass ich ihn mir so lange gemerkt habe, ist dieser Witz nicht, wenn ich recht überlege. Auf jeden Fall war das die Pointe. Ich fragte mich anscheinend wirklich, ob mich mir die Apple-Harke kaufen sollte auf Basis der Vorstellung eines möglichen unschönen Zustandes nach der OP, in der Vermutung ich diese Harke dann nicht mehr benötigen würde.
Für mich war das ein Zeichen, das ich mich gedanklich zu sehr in die „es könnte alles schief gehen“-Ecke gestellt habe. Eine Ecke, aus der ich dringend rausmusste.
Ich bestellte die Uhr. Das war klassische Retail Therapy. Etwas kaufen, damit man was im Kopf geraderücken kann. Und Retail Therapy ist so ziemlich das letzte, was man tun sollte, weil es nie auf Dauer hilft. Der Push im Hirn, die Freude über ein neues Gadget hält vielleicht drei Tage und dann fragt man sich „Hätte ich das eigentlich wirklich gebraucht“ und ärgert sich über das ausgegebene Geld.
Aber darum ging es mir gar nicht. Ich habe die Uhr aber nicht wegen dem „Neues Gadget“-Rush gekauft, es war eigentlich ein Statement an mich selbst „Jörg, hör auf so negativ zu denken“. Allerdings ist und bleibt das Retail Therapy. Aber vielleicht nicht von der ganz negativen Art. Aber trotzdem.
Der Tag kam
Irgendwann war der Tag dann da. Endlich. Leider. Beides passte. Ich ging am 29.9. ins Krankenhaus. Ich wollte eigentlich schon eine Woche vorher nicht mehr so richtig arbeiten. Es kam allerdings anders. Ich habe bis fast zum letzten Tag mich mit meinen Projekten abgelenkt. Zu tun gab es immer etwas. Übergaben schreiben. Letzte Arbeiten an Projekten.
Am Freitag vor der OP habe ich neben kleinen Restarbeiten nur noch einen wichtigen Punkt erledigt. Ich habe am Freitag vor der OP all meinen Kollegen mitgeteilt, was mir bevorsteht. Einige Kollegen, an welche ich meine Arbeit übergeben habe, wussten es schon vorher, hatten aber wie versprochen nichts gesagt.
Mein Bruder fuhr mich ins Krankenhaus. Holte mich in der Frühe des Tages ab. Ich musste schon um 9 im Krankenhaus sein und ich wollte unter keinen Umständen zu spät sein. Wir fuhren Richtung Hamburg und mein Bruder lenkte mich von meinen Gedanken ab, dass der Tag nun wirklich gekommen war. Wir unterhielten uns über alles mögliche und nichts. Über Pläne für die Zeit nach der OP.
Wir erreichten Hamburg. Köhlbrandbrücke. Hafen. Elbtunnel. Die A7-Baustelle. Meine Gedankenwelt war sehr komisch auf dieser Fahrt. Es klingt blöd, aber der Gedanke „Sehe ich das jetzt zum letzten Mal?“ flackerte da irgendwo im Hintergrund. Und da waren wieder diese negativen Gedanken. Ich ärgerte mich darüber. Ich hasse es, wenn ich so denke.
Er setzte mich vor dem Krankenhaus ab. Ich weiss, dass er ein schlechtes Gewissen hatte und immer noch hat, weil er nur vor dem Krankenhaus hielt und ich mit meinen Siebensachen allein ins Krankenhaus stapfte. Dieses schlechte Gewissen blieb, so sehr ich ihn auch vom Gegenteil versuchte zu überzeugen. Bis heute. Aber was hätte er schon machen können.
Der 29.9. war ein Vorbereitungstag, ein Untersuchungstag. Es war nicht der Operationstag. Hätte er überall einfach sitzen sollten, bis ich aus den jeweiligen Räumen herauskam? Warten, bis man mich präoperativ geschoren hat?
Ich war mehr als dankbar, dass er mich gefahren hat. Auf den Gängen hätte er nicht rumsitzen müssen. Es war nicht der Tag, an dem ich operiert wurde. Der Tag, wo er gegebenenfalls vor dem OP hätte warten können bis der Arzt rauskommt („da kannst Du warten bis der Arzt kommt“ muss hier seinen Ursprung haben) und sagt, dass alles in Ordnung ist. Oder auch nicht.
Das schlechte Gewissen zeichnet ihn als den großartigen Menschen aus, der mein Bruder ist. Es war dennoch unnötig.
Blutabnehmen. Abstriche, ob man irgendwelche wilden Keime mitgebracht hat. Und, ja, man wird wirklich am Körper geschoren. Das ist Operationsvorbereitung. Ich hatte zwar schon vorbereitende Arbeiten geleistet, die aber wohl die Arbeit nur schwieriger gemacht haben. Gespräche, die sowohl Aufklärung als auch Kennenlernen der Ärzte waren. Mir haben diese Gespräche sowohl Sicherheit als auch Unsicherheit gegeben.
Sicherheit, weil ich Vertrauen in die Ärzte gewann. Unsicherheit, wegen einer Frage, die mir in diesem Rahmen gestellt worden ist, auf die ich noch im weiteren Verlauf kommen werde.
Und zwischendurch immer wieder Warten. Ich guckte eigentlich den ganzen Tag vor der OP aus dem Fenster, wenn ich nicht gerade irgendwo unterwegs war. Ich hatte mich am Tisch am Fenster breit gemacht und zwischen den Terminen jenes Tages blickte ich aus auf die Häuser, die von dort aus sichtbar waren. Aß etwas. Irgendwann brachte man uns das Mittagessen. An ein Abendessen kann ich mich nicht erinnern. Aber das heisst nichts. Es ist gut möglich, dass ich etwas zu mir nahm, es aber gar nicht so wirklich wahrgenommen habe.
Ich erinnere mich an Bewegung am an meiner Erinnerung nach blauem Himmel. Ab und an war auf dieser Seite ein Flugzeug zu sehen. Da ich die Belugas von Airbus gesehen habe, musste dies der Flugverkehr von Finkenwerder gewesen sein, denn von Fuhlsbüttel starten sie nicht. Auf diese Seite war etwas Bewegung in der Welt. Etwas das meinem Krankenzimmer nach der OP fehlen sollte. Und mich stark belasten sollte.
Der Tag verging wie im Flug. Arztgespräche. Mein Operateur kam zu mir, um sich vorzustellen. Der Anästhesist kam mit dem Aufklärungsbogen für die Narkose und stellte ich als jener Mensch vor, der mich am folgenden Tag in Narkose legen würde. Ich wusste am Ende gar nicht so recht, welche Fragen ich stellen sollte.
Es ist so eine komische Situation. Man bereitet sich gedanklich auf die Operation vor. Liest unheimlich viel. Hat auch Fragen. Und dann sitzt der Arzt vor einem, man kann Fragen stellen und es fällt einem nichts ein. Ich habe mich über andere Sachen mit dem Arzt unterhalten. Das er mir explizit als Arzt empfohlen wurde. Das ich ein wenig Angst vor dem Tag habe. Aber keine Fragen zur OP. Über das danach.
Ich kann nur den Tipp geben: Schreibt euch die Fragen auf. Ihr werdet euch in der Situation an keine der Fragen so wirklich erinnern können und stellt irgendwelche Platzhalterfragen. Das doofe ist nur: 10 Minuten nachdem die Ärztin wieder ausm Raum ist, fallen Euch die Fragen wieder ein. Alle.
Die Nacht davor
Irgendwann senkte sich die Nacht über das Krankenhaus. Es wurde ruhiger. Ich habe auch abends, als eigentlich im Grunde nur noch die Lichter der Nachbarhäuser zu sehen waren, noch lange aus dem Fenster geguckt. Ich konnte nicht schlafen.
Auf meinem Zimmer lag noch jemand, der am gleichen Tag wie ich ebenfalls operiert werden sollte. Er ging auch durch all die Schritte der Vorbereitung. Wenn ich mich richtig erinnert, war er für eine Herzklappenoperation im Krankenhaus. Ich unterhielt mich mit ihm den Tag über immer wieder. Er war über mein Wissen zu diesem Thema verwundert, ich über die Gemütsruhe, die er an den Tag legte. Ich frage mich bis heute, ob da ein umgekehrt proportionaler Zusammenhang besteht. Zusammenhang besteht. Weniger wissen, mehr Gemütsruhe. Ich war mittlerweile zur Überzeugung gekommen, das ich in den fast 7 Jahren einfach zu viele Informationen angehäuft habe.
Ich erinnere mich noch, dass ich mich am Abend mich mit einem Antiseptikum waschen sollte. Es war die letzte Dusche für eine längere Zeit, in der ich nicht von Kabeln gehandicapt wurde. Hätte ich gewusst, wie lange ich nicht würde vernünftig duschen können, ich hätte diesen Moment des über mich fließenden warmen Wassers (ja … Warmduscher) wahrscheinlich deutlich länger zelebriert. In die Länge gezogen.
Es war schon interessant, wie vorsichtig man hier insgesamt war. Man durfte sich nicht mit eigener Kleidung ins Bett legen. Nur aufs Bett, das von einer weiteren Decke geschützt wurde. Erst nachdem man sich geduscht hat und im OP-Hemdchen (und einer Unterhose, die diesen Namen kaum verdiente) war, durfte man sich unter die Decke begeben.
Ich erinnere mich, dass das Licht von der Wegebeleuchtung von draußen in das Krankenzimmer strahlte. Es war im Grunde genommen wir in Koblenz fast sieben Jahre vorher. Es war nicht völlig dunkel und ich konnte lange nicht schlafen. Das ins Zimmer scheinende Licht hielt mich davon ab.
Ich habe von meinem Zimmernachbarn an dem Abend nichts mehr gehört. Vermutlich haben bei ihm die Medikamente besser gewirkt als bei mir. Ich weiss gar nicht, was aus ihm geworden ist. Wie es ihm nach der Operation gegangen ist. Ob er die Operation überstanden hat.
Irgendwann bin ich dank der pharmazeutischen Industrie doch eingenickt. Ich weiss allerdings nicht mehr wann. Ich weiss nicht wie lange. Es ist eine der Erinnerungen, die mir fehlt.
Der Tag ist da
05:30. Aufstehen. Der Tag war da.
Es gibt nicht viel an das ich mich erinnere. Ich versuche bis heute, den 30.9. und den 1.10. irgendwie zusammen zu puzzeln. Und es fehlen weite Zeiträume. Es klappt einfach nicht. Es hätte einen aus dem luftleeren Raum plötzlich entstehenden 31.9. geben können. Ich würde mich nicht daran erinnern.
Es sind Fragmente, die mir einfallen. Fragmente, die ziemlich wahlfrei ausgesucht scheinen, weil sie teilweise so profan sind. So überflüssig. Ich versuche mich an das Gesicht meines Anästhesisten zu erinnern, kann es aber nicht. Erinnere mich aber an das Gesicht von jenem Menschen, der mich nach der OP wieder auf die Normalstation geschoben hat.
Ich erinnere mich dran, dass ich in den OP-Bereich gefahren wurde. Vorne an meinem Bett war ein Schild „Achtung Herz-OP“. Daran erinnere ich mich. Vermutlich, weil ich ein Photo davon gemacht habe. Irgendwas sagte in mir „Ich hab doch keine Herz-OP. Nur nahe dran“. Weil ich irgendwie nicht wollte, das es eine Herz-OP ist. Herz-OP klingt noch gewaltiger.
Ich erinnere mich daran das ich kurz vor der OP in einem abgedunkelten Raum war. Ich lag in meinem Bett. Die Situation wirkte ruhig. Sehr ruhig. Ich fühlte mich ruhiger, als ich erwartet habe. Es fühlte sich an, wie die Ruhe vorm Sturm. Man erwartet etwas, aber plötzlich wirkt alles friedvoll und ruhig. Als wüsste die Welt nicht, was gleich passieren würde. Ich vermute, dass dieser Raum der Aufwachraum war. Aber ich weiss es nicht mehr. Von dort aus würde es bald richtig OP-Saal gehen.
Ich erinnere mich daran, dass ich darauf wartete, dass mich der Anästhesist in den Vorbereitungsraum holte. Und dann sind da nur noch minimale, zusammenhangslose Bruchstücke. Das der Raum so viel heller war als der Raum, in dem ich auf den Anästhesisten gewartet habe. Ich weiss nicht mehr, was ich noch gesagt habe. Ich kann mich nur daran erinnern, dass ich etwas gesagt habe. Aber selbst wenn mein Leben davon abhängen würde, könnte ich mich nicht daran erinnern. Wenn ich in dem Moment die genialste Idee meines ganzen Lebens hatte. Sie ist weg. Nichts mehr davon da.
Und. Dann. Ist. Da. Nichts. Gar. Nichts.
Ich kann mich wirklich nicht mehr dran erinnern, wie ich dann vom OP auf die Intensivstation kam. Wie ich vom Aufwachraum auf die Intensivstation kam. Obwohl ich laut Bericht irgendwann wach gewesen sein soll. Ich kann mich nicht erinnern, dass die Beatmungsschläuche gezogen worden sind. Ich hatte gelesen, dass das unangenehm wäre. Ich würde mich sicherlich erinnern, wenn ich da schon bei Bewusstsein war.
Der operierende Arzt rief meinen Vater an, um vom erfolgreichen Ausgang der Operation zu berichten. Im OP-Bericht steht, dass meine Familie im Krankenhaus anrief und ich nicht sprechen konnte, da meine Stimmbänder sich noch nach der Beatmung als nicht kooperationsbereit zeigten. Ich soll wach gewesen sein. Auch hier: Ich vermag mich nicht zu erinnern.
Wenn ich hier ein Hinweis geben darf: Sagt Euren Lieben, das sie am OP-Tag nicht kommen sollen. Wenn ich meine Erfahrung zugrunde lege, werdet ihr, selbst wenn ihr wach werdet, euch an nichts erinnern. Die Angehörigen werden telefonisch informiert. Ich glaube nicht, dass es sich wirklich lohnt bei einer solchen Operation eine Spur in das Linoleum der Krankenstation zu laufen. So wie man es aus Filmen kennt. Zudem: Solche Operationen sind lang. Eure Angehörigen würden viel laufen.
Am nächsten Tag ist alles auch noch schwierig. Aber da ergibt ein Besuch wahrscheinlich deutlich mehr Sinn. So richtig wahrgenommen habe ich Welt um mich herum glaube ich erst einen weiteren Tag später. An dem Moment setzte bei mir die Erinnerung wieder so halbwegs ein. Glaube ich zumindestens. Ich habe so wenig Erinnerungen an die Zeit nach der OP, das ich mich nicht mal mehr erinnern kann, wann die Erinnerungen genau wieder einsetzen.
Ich bin mir bis heute nicht sicher, wieviele Tage in in dem Zustand war, in dem ich wach war, aber im Grunde genommen nichts mitbekommen habe respektive das was ich mitbekommen habe nicht in meine Erinnerung eingebaut habe. Es können genauso gut drei Tage gewesen sein. Das ich länger auf der Intensivstation war, als ich mich selbst erinnere. Das Zeitgefühl fehlt mir einfach. Ich könnte das anhand des OP- und Entlassungsberichts rekonstruieren. Ich werde das wahrscheinlich mit etwas mehr gedanklichen Abstand auch tun.
Kurz nach der OP
Ich habe eine bruchstückhafte Erinnerung das die Krankenpflegerinnen meine Hände wuschen. Ich fand meine Hände eigentlich gar nicht so dreckig. Ich weiss eigentlich gar nicht warum. Das ich eine Überdruckbeatmung erhielt, um meine Lungen nach der OP wieder an die richtige Ort und Stelle und Ausdehnung zu bringen, wenn ich das richtig verstanden habe. Ich erinnere mich, dass mir die Sonne ins Gesicht schien. An eine Sonne, die tief stand. Es muss daher irgendwann am Morgen gewesen sein des nächsten Tages gewesen sein. Glaube ich. Aber alles andere fehlt irgendwie. Ich habe keine Erinnerungen, bis zu diesem Zeitpunkt. Ich wurde beispielsweise postoperativ am 30.9. geröntgt, am 1.10. und am 2.10 ebenfalls. Ich kann mich nicht erinnern.
Etwas an das ich mich erinnern konnte war die Visite, die auf der Intensivstation stattfand. Jede Menge Ärzte standen plötzlich im Raum. Der Operateur berichtete. Ein Arzt drückte sich sehr erfreut aus, wie schnell ich mich von der OP erholt habe. Ich dachte: Ihr wolltet doch nur das gerade Stück der Aorta ersetzen. Der Arzt meinte „Wir mussten teilweise den Bogen ersetzen“. Ich fragte „Hemiarch?“. Der Chefarzt entgegnete etwas damit das ein informierter Patient ein guter Patient sei. Oder sowas in der Arzt.
Es scheint wie mit allen Reparaturen im Leben zu sein. Wenn man dabei ist, wird’s größer. In meiner Familie gibt es den Spruch „3 Tage 500 Euro“ um zu sagen das es 9 Tage dauert und 1500 Euro kostet. Dem lag eine spektakuläre Fehleinschätzung bei der Renovierung meines Kellers zu Grunde. Ich habe damals gelernt: Es ist immer das doppelte oder dreifache von dem, was man initial denkt.
Was war passiert? Die Operation war deutlich größer als ich dachte. Aus einem Ersatz der Aorta Ascendens wurde wie gesagt eine Operation bis weit in den Aortenbogen. Das ist zwar noch nicht das maximale, was in der Herzchirurgie möglich ist, aber man greift schon tief in das Repertoire der Medizin, damit man das überlebt. Denn man muss dort an Bereiche dran, die das Hirn versorgen und da darf kein Blut sein.
Wenn ich das richtig verstanden habe, klemmt man bei einem Ascendenzersatz das Stück quasi aus. Da das Herz dann nichts in den Rest des Körpers pumpen kann, legt man es still und schließt an anderer Stelle die Herzlungenmaschine an.
Will man an den Bogen ran, ist das etwas aufwändiger. Die verwendete Technik nennt sich Hemiarch. Halbbogen. Um mein laienhaftes Wissen zum Besten zu geben: Ich erwähnte ja, das am Aortenbogen die Gefässe für Kopf und Arme abgehen. Wenn man an dieser Stelle ein Aneurysma hat, dann wird der Bogen getauscht und dabei die Gefässe für Kopf und Arme neu angeschlossen. Das ist eine sehr aufwändige Operation, soweit ich das verstanden habe.
Was ist aber nun, wenn die abgehenden Gefässe noch ganz gut in Schuss sind, aber am anderen Gewebe des Bogens ein Fragezeichen steht. Oder wenn das Aneurysma sehr nah an diese Gefäße rangeht. Hierzu wurde eine Operationstechnik entwickelt, die nicht ganz so aufwändig ist. Man tauscht nicht den gesamten Bogen aus, sondern nur die Hälfte. Die horizontal untere Hälfte, nicht vertikal, wenn man von vorne draufguckt. Ich weiss gerade nicht, wie ich das so richtig erklären soll, stellt euch einfach vor, dass die Aorta und die Prothese schief abgeschnitten wird und so ein Stück des Aortenbogens mit ersetzt wird. Es gibt dazu sogar Videos auf Youtube. Vielleicht nicht unbedingt angucken!
Jetzt werdet ihr euch wahrscheinlich Fragen, wie das Blut ins Gehirn kommt? Vom Körper aus gar nicht. Das Herz schlägt nicht. Man legt es still. Im Bericht wird später stehen „Nach 1 Minute Herzstillstand.“. Die Herzlungenmaschine übernimmt nun den Job.
Ich wurde mit der Herzlungenmaschine runtergekühlt. Damit meine Zellen weniger Sauerstoff brauchen. Mein Kreislauf wurde stillgelegt. Damit man die Stelle in Blutleere operieren konnte. Mein Hirn wurde direkt von der Herzlungenmaschine versorgt, die - wenn ich das richtig verstehe - direkt am Hals angeschlossen war. Dazu passt auch, dass ich keine Anschlussstellen an der Leiste hatte. Es sind hingegen immer noch zwei Rote Punkte am Hals sichtbar. Auch nach zweieinhalb Monaten.
Es war der Tag, an dem mein Herz still stand. Ein Gedanke, der mir bis heute irreal vorkommt.
Vor all dem kam die „minimale“ Sternotomie. Die aufsteigende Aorta ist im Brustkorb. Die den Brustkorb darstellenden Rippen sind für die Operation im Weg. Und müssen ausm Weg. Nichts anderes ist die Sternotomie. Die Eröffnung des Brustkorbs.
Der Brustkorb muss nach der OP natürlich geschlossen werden. Kann man ja nicht so lassen. Damit das herausgenommene Stück an Ort und Stelle zur Verheilung bleibt, wird es mit einer Drahtcerclage fixiert. Meine laienhafte Vorstellung: Mit ein wenig medizinischen Tüddeldraht fest gemacht. Ich weiss noch gar nicht wie sich das auf zukünftige MRT-Besuche auswirken wird. Ich denke bis nach dem ersten MRT werde ich einige sehr interessante Horrorsituationen im Kopf haben.
Minimal ist hier sowieso ein äußerst relativer Begriff. Für die Herzchirurgie zählt das wohl als minimalinvasiv. Früher hat man für solche Operationen den ganzen Brustkorb geöffnet, in dem man das Brustbein aufgesägt hat. Minimal heisst, nur das minimal notwendige Stück des Brustbeins aufzutrennen. Gerade so viel, dass man die OP durchführen kann. Also nicht alle Rippen. Das hat den Vorteil, dass die Heilung einfacher ist, auch wenn die OP handwerklich wohl deutlich anspruchsvoller ist. Diese Operationsmethode hat den großen Vorteil, dass der Brustkorb so mehr Reststabilität hat, als wenn das ganze Brustbein durchgetrennt ist.
Ich bin froh, dass mich mit dem Gedanken, dass das das nur ein einfacher Aortenersatz werden würde, in die Narkose gegangen bin. Hätte ich gewusst, was passieren würde, hätte ich mich wahrscheinlich vor Sorge wahnsinnig gemacht. Denn ich wusste, dass Reparaturen am Aortenbogen keine Kleinigkeit sind.
Ich war zumindest froh, dass ich nicht klickend aufgewacht bin. Das war die Verunsicherung die am Tage der Voruntersuchungen entstanden ist. Ich erinnere mich noch an den Moment, als die Ärztin vor der OP zu mir reinkam und fragte (das ist jetzt kein wörtliches Zitat, sondern der Inhalt soweit ich mich erinnere) „Möglicherweise müssen wir näher ans Herz. Das sehen wir erst, wenn wir dran sind. Möglicherweise können wir dann die Klappe nicht rekonstruieren. Wir können sie nicht aufwecken und fragen, was sie möchten. Daher die Frage jetzt: Wollen Sie eine biologische oder künstliche Herzklappe, wenn es nötig wird“.
Ich antwortete perplex und im Reflex „Äh … künstlich“. Ich hatte mich auch über dieses Thema vorher informiert und hatte eine klare Präferenz. Je jünger man ist, desto schneller bauen biologische Klappen ab. Ich hätte keine Lust auf Reoperation in 10 Jahre gehabt. Ich wäre dann 62 gewesen. Es wäre fraglich gewesen, ob ich dann eine OP einigermaßen gut überstanden hätte.
Vor allem war ich aber ein wenig schockiert. Ich erinnere mich noch daran „Oh, shit. Diese Nummer wird immer grösser.“. Was hatte ich mit dem Wunsch nach der OP noch alles in Gang gesetzt. Und ich erinnere mich noch daran, dass ich auf dem Weg zur OP dachte: „Ich will nicht klicken“. Eine Eigenschaft der künstlichen Klappe ist nämlich, dass sie klickt und man das teilweise auch von außen hören kann. Irgendwann nach der OP, als einer der wirklichen ersten bewussten Gedanken, war da die Erkenntnis, das ich nicht klickte. Kein Klicken. Glück gehabt. Ich habe noch das Werksteil als Klappe.
Mir war das so wichtig, das das vermutlich mein letzter Gedanke vor der Narkose und mein erster Gedanke nach der Narkose war. Würde passen, ich hatte irgendwo im Netz gesehen, das es durchaus vorkommt, dass Menschen einen Satz vor der OP beginnen und nach der OP beenden.
Der Tag ging
Was mir nicht so direkt nach der OP auffiel, sondern ein paar Tage später, war die Tatsache, dass ich gelbbraun war. Nicht am ganzen Körper, sondern nur große Teile. Irgendwer muss mich großzügig mit dem Zeug zur Desinfizierung eingepinselt haben. Das findet wahrscheinlich nach der Narkoseeinleitung statt, denn ich habe auch da – ihr werdet es erraten - keine Erinnerung.
Als ich mich das erste Mal waschen durfte, dachte ich zunächst, dass diese Farbe nieeee abgehen wird. Höchstens mit der Haut in Gänze. Hier kann ich allerdings beruhigen, es dauert nur etwas länger und es ist anstrengender beim Waschen. Zu einem Zeitpunkt, zu dem man eigentlich keine Anstrengung will. Ich habe mir an den ersten Tagen dann auch überlegt, das ich mit der gelbbraunen Farbe leben kann, anstatt viel Mühe in das Wegschruben dieser Farbe zu investieren. Ich kann auch sagen: Nach etwas über 2 Monaten ist die Farbe weg. Ich glaube sogar, sie war kurze Zeit nach dem ersten richtigen Duschen schon mehr oder weniger weg. Im Gegensatz zu einem Fitzelchen EKG-Elektrodenkleber, das ich erst 2 Monate später gesehen hatte. War mir vorher gar nicht aufgefallen.
Vielleicht weil mich der große Einschnitt auf meiner Brust so in meinen Bann zog. Wenn man gar nicht mehr so an die körperlichen folgen der OP denkt, reicht es zu duschen, um die OP wieder schlagartig im Kopf zu haben. Selbst wenn man versucht, die ständigen Gedanken daran wegzuschieben, um sich auch mental von der OP zu erholen. Die Narbe erledigt das Erinnern. „Ach ja, da war ja was“. Und nicht duschen ist ja auch keine Alternative.
Die Atmung fiel mir in den ersten Tagen ziemlich schwer. Ich hatte ziemliche Schnappatmung. Die Ärzte und das Pflegepersonal erklärten das damit, das ich ja einen Dränageschlauch in der Brust hatte und der durchaus für solche Beschwerden sorgen könnte.
Unerwünschter Umweg
Ich war die ersten anderthalb Tage in einem Zweibettzimmer. Unterhielt mich mit dem Menschen, der auch das Schicksal einer kürzlichen OP teilte. Ich trug jetzt keine Maske mehr. Erst später kam ich auf ein Einzelzimmer. In dieses wäre ich wahrscheinlich sowieso gekommen. Denn jetzt passierte etwas, was ich überhaupt nicht auf meinem Plan hatte. Ich hatte mit allem gerechnet, jedoch nicht damit.
Was passierte? Viel! Ich habe mich kurz vor oder nach der OP mit SARS-CoV-2 infiziert. Das erste Mal. Ich bin seit meinem Krankenhausaufenthalt kein NOVID mehr. Ich war nicht aufgrund einer seltsamen Laune der Natur weitestgehend immun gegen SARS-CoV-2, wie ich nach 5 Jahren ohne Covid vermute, sondern ich hatte vorher einfach nur Glück.
Ich habe meine Vermutungen, wer mich angesteckt haben könnte. Meine Familie, die mich besuchte, konnte es eigentlich nicht gewesen sein. Die hatte ich in Masken gezwungen. Es gibt eine sehr traurige Vorgeschichte zu diesem Thema, die hier nicht hingehört. Ich stellte deswegen zwei Bedingungen, wenn mich jemand besucht: Maske tragen und keine Kinder zu Besuch. Aus sehr gutem Grunde. Es gab auch keinen Coronafall in meiner Familie kurz vorher oder nachher. Deswegen meine Vermutung, das es irgendwo im Krankenhaus passiert sein muss. Ob ich es im Krankenhaus bekommen habe, ob ich es mitgebracht habe. Ich weiss es letztlich nicht. Ist es relevant? Eher nicht. Wo immer Menschen sind, kann sowas passieren.
Ich vermag bis heute nicht genau zu trennen, was die OP war und was Corona. Ich hatte die ersten drei Tage wie gesagt ziemliche Schnappatmung. Das mag die OP gewesen sein, es kann auch Corona gewesen sein. Ich weiss es ebenso wenig wie die Herkunft der Infektion. Ich werde es nie wissen. Was ich jedoch weiss: Ich kann nicht empfehlen, beides gleichzeitig durchzuziehen. Corona und OP.
Wobei das schlimmste für mich nicht mal Corona an sich war. Sondern die folgende Isolation. Und darum soll es im nächsten Kapitel gehen.