Zahlenwerk

Frau von der Leyen beziehungsweise die Behörde, der sie vorsteht, argumentiert ja gerne dieser Tage, das Kinderpornographie immer schlimmer wird: 111 Prozent Zuwachs von 2006 auf 2007. Netzpolitik.org hat mal in der einschlägigen Kriminalstatistik nachgeguckt, un dabei herausgefunden, was von dieser Schlagwortzahl zu halten ist … naemlich nichts:

Dort steht also, im Jahr 2006 wurden 124 kinderpornografische Schriften nach § 184b Abs. 3 StGB und 2.773 nach Abs. 1 erfasst, sind zusammen 2897. 2007 waren es 347 respektive 2.525, zusammen 2872. Das ist bei mir keine Verdopplung, sondern eine Konstante. Woher die 111% herkommen ist mir schleierhaft, kann die jemand anders in der Statistik finden? Die Aufklärungsquote ist übrigens von 62.1% auf 82,7% für Abs. 3 und 73,0% auf 75,3% für Abs. 1 gestiegen.

Kinderpornographie ist verabscheuenswert. Aber hier soll mit hochgejubelten Zahlen ein Instrumentarium durchgedrückt werden, das garantiert irgendwann auch zum Blockieren von anderen Internetseiten verwendet werden wird. Glaubt denn ernsthaft jemand, das es aus anderen Ministerien keine Begehrlichkeiten geben wird? Ich mag das einfach nicht glauben, und das ist das Problem, das denke ich viele mit diesem Vorhaben haben. Das man Kinderpornos beseitigen muss, ist gesellschaftlicher Konsenz, darüber müssen wir nicht diskutieren. Darüber kann und will man als zivilisierter Mensch nicht diskutieren. Wir müssen aber über das “Wie?” diskutieren. Insbesondere bei dem Instrumentarium, das dort zum Einsatz gebracht werden sollte. Es scheint fast so, als das bei jeder Umgehungsstrasse wird mehr Technologiefolgenabschätzung gemacht, als bei diesem Vorhaben. Die Frage ist nun darüberhinaus: Was soll man von einem Gesetzeswerk halten, das eindeutig sich auf fehlerhaftes Zahlenwerk beruht. Die entsprechenden entscheidenden Gremien täten gut dran, vor der Verabschiedung mal aufzuklaeren, woher nun die Zahlen kommen. Schon alleine, damit dieses Gesetzeswerk nicht einen allzu offensichtlichen Geburtsfehler aufweisst. Koennte bei der wahrscheinlich ohnehin unumgänglichen Klage bei der Verfassungsgerichtsbarkeit sofort duemmlich auffallen. Ansonsten bereitet mir folgender Punkt im Eckepunkte-Papier des BMFSFJ gewisse Bauchschmerzen:

Die Liste der zu sperrenden Adressen wird durch eine staatliche Stelle bereitgestellt und
verantwortet. Dabei wird sichergestellt, dass keine legalen Angebote auf die Liste gelangen
und ein effektiver Rechtsschutz möglich ist.

Ich hoffe, ich bin nicht der Einzige, der hier gerne einen Richtervorbehalt hätte. Soviel Zeit muss sein, das ein Richter sein Okay dazu gibt, das man die Filterregeln erweitert. Ich sehe da auch nocht keine Regularien, wie mit den Logfiles der Filterseiten umgegangen werden sollen, auf die ein Nutzer umgeleitet werden soll. Vielleicht koennte man bei der Gelegenheit die unsere Gerichte und Staatsanwaltschaften vom Matching IP-Addresse/Personen für die Content-Industrie entlasten. Die haetten dann auch mal Zeit fuer wirklich wichtige Dinge, wie zum Beispiel eben das Austrocknen des Kinderpornographiesumpfes. Mal davon abgesehen, das ich es für schlichtweg unmoeglich halte, einen Filter zu bauen, der wirklich zuverlässig Kinderpornographie filtert. Hier kann man wieder ein gutes Beispiel aus dem militärischen Bereich nehmen. Ich nehm Beispiel aus diesem Bereich recht gerne. Die Menschheit schlaegt sich seit Anbeginn der Menschheit die Köpfe ein. Das Militär hatte in dieser Zeit jede Menge Möglichkeiten, sich mit Problemen und deren Lösungen zu beschäftigen. Meistens findet man für alltägliche Probleme eine Analogie im militärischen Bereich. Will man die Gefahr durch ballistische Raketen minimieren, so schiesst man diese am besten nach dem Start ab bevor sich die MIRVs (maneuverable independent reentry vehicles) abgetrennt haben. Danach steigt die Zahl der Ziele naemlich extrem an, bei neueren Baumustern sogar mit Täuschkoerpern. Filtern von Webseiten ist ungefähr das Equivalent zum Versuch, MIRVs abzuschiessen. Geht zwar so irgendwie, aber einiges kommt eben doch durch. Der Abschuss der Rakete vor der Abtrennung der Gefechtsköpfe ist das Equivalent zur mühsamen, aber letztlich erfolgreiche Polizeiarbeit: Man hat auf einen Schlag eine Menge Leid verhindert. Ist irgendwie genauso mit Terrorbekämpfung: Ich glaube nicht, das das Roentgen von Notebooks oder das Wegwerfen von Feuerzeugen und Wasserflaschen nach dem 11. September irgendeinen Anschlag verhindert haben. Ich bin aber auch nicht so naiv, das es danach keine Versuche gegeben hat, es noch mal zu versuchen. Das waren Polizisten und Geheimdienste, die nach althergebrachter Art und Weise gearbeitet haben, eben gute alte Polizei- und Geheimdienstarbeit. Die erheblich gestiegene Aufklärungsquote für diesen Tatbestand erscheint mir dort ein wesentlich besserer Lichtstreif am Horizont der betroffenen Kinder zu sein, als es jede Filteregel je sein könnte. Denn da sind wir bei der Bestrafung jener Menschen, die den Kindern wirklich das Leid angetan haben und da sind wir bei jenen Menschen, die das Geld aus dem Leid der Kinder ziehen.