Ein Brief

Hallo Angela, Oh du böse treulose Wählerschaft. Gar unkontrollierbar ist sie. Entzieht sich jeder Planbarkeit. Ist nicht rational. So erkläre mir jemand, was sie treibt, was sie verführt, was sie denkt? Entzieht sich den Wahrheiten der Statistik. Jener Wissenschaft, die Gefühle der Menschen ehedem so gut beschrieb. Doch es scheint nichts mehr zu gelten. Was vor einer Woche noch wahr war, wird wahrscheinlich in einer Woche nur noch der Gedanke in einem Menschen sein, für wenige Wochen eines Sommers die Hoffnung der Menschen gewesen zu sein, ja , bis eben diese Person diese Hoffnung nahm. Bis das wahre Gesicht ein wenig zu früh erschien. Ja, liebe Angela, dieser Mensch bist du.
Es war alles so perfekt, perfekt geplant, perfekt orchestriert, perfekt eingefädelt. Der Erfolg zum Greifen nah. Nur eine Sache wurde vergessen: Der Mensch möchte als Produkt seiner Ängste und Hoffnung verstanden werden. Euer Verständnis war fast richtig, liebe Angela, lieber Edmund, lieber Guido. Auch ihr habt die Ängste gesehen, die Hoffnung ebenfalls. Doch anstatt die Antwort für die Menschen zu sein, habt ihr zu früh gezeigt, das die Ängste der Menschen eigentlich eine Antwort auf eure Fragen waren. Auf die Frage, wo ihr in einem Jahr sein werdet.
Menschen merken schnell, wenn etwas nicht stimmt. Es ist das unbewusste schlechte Gefühl im Magen, das ihnen Sorgen macht. Und sie folgen jenen, deren Antworten besser erscheinen, logischer erscheinen, ihren Ängsten und Hoffnunen angemessener erscheinen. Und das kann durchaus jede Minute jemand anderes sein.
Das Deutschland des Jahres 2005 ist nicht mehr das Deutschland des 1998. Wir sind anders geworden. Offener, liberaler, weltmenschlicher … dadurch aber auch weniger kontrollier- und vorhersagbarer. Wie seid ihr geworden in den letzten Jahren? Sind wir noch euer Volk und seid ihr noch unsere Stimme? Gruesse
Jörg