Die Wikipedia dieser Tage - oder: Diskurs statt Löschen

“Die Erde ist eine Kugel? Da spricht doch die ganze Wissenschaftgemeinde gegen. So ein Mist. Die Kugeltheorie ist irrelevant! Löschen!” Früher wurde wurde man für die Verbreitung von “Mist” mit der Androhung allerlei unschöner Dinge in die Verleugnung geschickt. Heute wird man gelöscht. Es gibt viele Kommentatoren, die schreiben, das eine redaktionelle Bearbeitung notwendig ist, um zu verhindern, das nur Mist in der Wikipedia steht. Vielleicht will ich aber gerade das von der Wikipedia. Ich will den Mist lesen … sei es nun, weil es vielleicht nicht relevant im Sinne meines Wissensbedarfs, aber interessant ist im Rahmen meines Wissenshungers. Oder weil Mist eben auch die Gegenthese zu einer vorherrschenden These ist. Das Modell der Löschung nicht-relevanter Themen ist ja dann die blosse Transponierung des Modells “Wissenschaftliches Magazin” in die Internetwelt. Der wissenschaftliche Konsens, wie er von einigen einzelnen gesehen wird, ist Gatekeeper. Aber das Internet kann das Besser. Vielleicht ist eine Idee, die ich vor einigen Jahren mal postuliert habe, nicht die schlechteste: In 2005 hatte ich mir gedanken gemacht, wie man die Wikipedia mit Public Key-Kryptographie kombinieren kann, um so Vertrauen in einen Wikipedia-Eintrag zu schaffen. Wenn ich sehe, das eine Kapazität des Fachs mit seinem Key unterschrieben hat, dann habe ich tausend mal mehr Vertrauen in den Eintrag als durch die Löschung eines in der Qualfikation wahrscheinlich fragwürdigen Admins. Ich glaube aber, darum geht es gar nicht: Es geht hier im persönliche Gedanken, um persönliche Weltsichten und um die Macht diese Sicht via Administratorenvollmacht umzusetzen. Um jene nachgerade infame These eines Wikipedia-Schreiber(“Blogosphäre bitte draußen bleiben!” von einem Schreiber namens Meisterkoch, der mit seinem Kommentar eine gar gräuslich, stinkende Suppe aus Selbstüberschätzung und Überlegenheitsgefühl gekocht hat), die im Scienceblog zurecht unter Beschuss genommen wird, aufzugreifen und zuzuspitzen Erstklassige Wissenschaftler publizieren in Science, Lancet oder wie diese Blätter alle heissen, zweitklassige Wissenschaftler haben Blogs, drittklassige Wissenschaftler werden Wiki-Löschadmins. Wer wissen nicht schaffen kann, wer Wissen nicht vermitteln kann, der muss ich eben mit der Verwaltung von Wissen begnügen. Weil aber Wissen zwar aus sich heraus geschaffen und vermittelt werden kann, aber es keine unmittelbare notwendigkeit gibt, es zu verwalten, werden eigene Kriterien geschaffen, die die Einsortierung ermöglichen. Letztlich hat der Wikipediaadmin aber soviel mit der Wissenschaft zu tun, wie ein Sammler, der einzelne Schmetterlinge in einen Rahmen hängt, mit einem forschenden Biologen. Sowohl der Wikipediaadmin als auch der Sammler sind letztlich eben nur Sammler. Nur das der eine Schmetterlinge und der andere Begriffe mit der Nadel durchstösst. Der Nichtexistenten-Entität-höherer-Art-seidank sind nicht alle Wikiadmins und Schreibe so, es dürfte sogar nur ein kleiner Teil sein, aber aus Sicht der PR für die Wikipedia ist ein solcher Standpunkt ganz schlecht. Es geht hier auch um eine Art Machtkampf. Wo wird in Zukunft das Wissen der Welt präsentiert. Ich denke, wir alle sind und einig, das das Wissen nicht mehr zwischen papierenen Seiten erschlagen aufgebahrt wird. Ist es der zentralistische Ansatz einer Wikipedia als Wissenssilo, das sich den Vorteil einer Qualitätssicherung auf die Fahnen schreibt. Oder ist es die eher dezentrale, fragmenthafte Lagerung an vielen Stellen, bei der das Wissen seine Relevanz durch den Grad der Vernetzung in den jeweiligen Peer Groups findet. Sozusagen amerikanische Meinungsfreiheit (“Du darfst wirklich alles sagen, Du darfst dann aber auch damit rechnen, das Du richtig niedergemacht wirst, wenn Du Unsinn erzaehlst”) gegen deutsche Meinungsfreiheit (“Die Meinungsfreiheit endet dort, wo die Rechte des Einzelnen oder einer Gruppe anfangen”). Die sich selbst verteidigende Entität gegen die verteidigte Entität. Ich will Mist in der Wikipedia … jede Menge Mist. Ich bin erwachsen genug, ich bin medienkompetent genug um aus der Vielfalt der Meinungen und Auslegungen mein Bild von der Welt zu generieren. Ich brauche und will nicht, das dieses Wissen vorgekaut wird. Man muss auch überlegen, das Wikipedia niemals den Rang der wirklich wichtigen Publikationen erhalten will. Brauche ich wirklich belastbare Informationen ueber den momentan Stand meines Metiers, lese ich die Publikationen der IEEE oder der ACM. Aber garantiert nicht die Wikipedia. Die Frage ist naemlich: Wer kontrolliert die Kontrolleure … “Who watches the watchers?” Will ich mich wirklich auf drittklassige Wissenschaftler verlassen? Seit jeher verlasse ich mich auf Wikipedia-Informationen nur, wenn ich diese woanders validieren kann. Wikipedia hilft mir da nur, weitere Suchbegriffe zu finden, die mir via Google die Validierung ermöglichen. Wer heute Wissen nicht nur auf Altären bahren will, muss sich damit abfinden, das alle Menschen ausserhalb ihres Metiers saudumm sind. Will man Interesse für ein Thema wecken, dann muss man halt auf Galilleo-Niveau runter. Das ist erfolgreiche Wissensvermittlung: Heute weiss jeder, was ein Cutter ist und das man Eis ins Brät mischt, damit es nicht durch die Reibungshitze kocht. Es ist wahrscheinlich nutzloses Wissen. Aber es ist Wissen, und es steht keinem zu, zu kritisieren, das man die Welt wieder etwas wissender gemacht hat. Aber vielleicht ist das die wirkliche Aufteilung: Dem als erstklassigen deklarierten Wissenschaftler geht es um die Anhäufung von Wissen. Dem als zweitklassig diffamierten Wissenschaftler geht es um die Verteilung von Wissen an die Unwissenden. Dem drittklassigen Wissenschaftler durch das Wort WissenSCHAFTler noch honorierten WissensVERWALTER geht es um die Macht, da er weder forschen noch erklären kann. Und macht hat man als Löschadmin in seiner kleinen Welt, bei der mit jeder auf Relevanz basierten Löschung die Relevanz des Gesamtkonstruktes Wikipedia für die Allgemeinheit geringer wird. Wenn es allerdings um Macht geht, wird ein überwachendes Organ benötigt. Für unsere Politiker ist es das Verfassungsgericht. Die Wikipedia braucht dies genauso und ich sehe hier die Blogosphäre als gutes Organ.Nicht als einziges, aber durch seine Vielfältigkeit der Menschen als ein effektives Organ der Kontrolle. Denn Kontrolle der Kontrolle darf man nicht den Kontrolleuren ueberlassen. Die Wikipedia sollte daher die Blogosphäre einladen, und nicht als Hort der Mittelmässigkeit abkanzeln und versuchen sie auszuschliessen. Um nun zu einem Ende zu kommen: Ich habe mal in einem Text geschrieben, das es keine unwichtigen Daten gäbe - nur wichtige Daten und veraltete Daten, denn wären sie unwichtig gewesen hätte man sie nicht gespeichert. Ebensolches gilt auch für Wissen: Es gibt kein irrelevantes Wissen, es gibt nur Wissen und das Nichts (denn Bereits die Kenntnis der Existenz von Etwas ist Wissen) - ja und Menschen die glauben zu wissen, was sich nicht zu wissen lohne.