Die ganz normalen Abgruende

Ich weiss, ich bin eigentlich nicht die Zielgruppe fuer Weblogs wie Lyssas Lounge, aber manche Weblogs sind einfach zu gut geschrieben, um nicht gelesen zu werden. Die Autorin dieses Weblogs beschrieb im oben verlinkten Artikel jene Probleme die sie mit einem Herren hatte, der sie zu einem Hoteldate noetigen wollte. (wobei allerdings ausser der zumindests gelegentlichen Lektuere des Weblogs durch den besagten Herren keine weiteren Anknuepfungspunkte existieren.) Fragen …
Letztlich kann man die Diskussion auf zwei Fragen konzentrieren: Ist man als Frau oder Mann fuer seine Postings verantwortlich und wie geht man mit Menschen um, die durch das Lesen des Weblogs Naehe spueren, und sich vom Autoren in gleicher Masse wuenschen.

Verantwortung fuer die Aussenwirkung
Auch wenn das dem Jehova-Schreien gleich kommt, zunaechsteinmal ist jeder fuer seine Postings verantwortlich. Wenn jemand persoenliche Dinge erzaehlt, muss klar sein, das er damit bestimmte Reaktionen ausloest, ob sie nun gewuenscht sind oder nicht. Bei 1000 Lesern werden 1000 verschiedene Gedankengange hervorgerufen.
Ich moechte auch noch ein zweites Mal Jehova schreieben: Es ja in der Diskussion ja die Argumentation gefallen, das Minirocktraegerinnen verantwortlich dafuer sind, wenn sie belaestigt werden. Das ist zu einem gewissen Grad und Sinne richtig (ja steinigt mich), denn es ist der Beginn einer Kette. Es gibt Menschen, die das als Schluesselreiz sehen und diese reagieren dann in einem bestimmten Mass. Es ist jetzt durchaus moeglich, das bei einer bestimmten Gruppierung Menschen die kulturelle Konditionierung durchbrochen wird, das man ueblicherweise die Begehrte nicht am Haarschopf packt und in die Hoehle zieht. Im Sinne der Verantwortung kann man also sagen, das die Verantwortung in sofern beim Opfer liegt, als das diese einen Reiz ausgesendet hat und damit vielleicht nicht die Kette ausloest, aber zumindestens katalysiert.
Was aber letztlich egal ist, denn der Taeter wird schliesslich nicht dafuer belangt, das er sexuell angeregt worden ist (Dann wuerden im Sommer viele Maenner und Frauen der Justiz anheimfallen).
Bestraft wird fuer den Kontrollverlust der entsprechenden Person. Das Grundgesetz gibt schliesslich vor, das die Rechte des einzelnen uneingeschraenkt sind, so lange sie nicht die Rechte eines anderen eingreifen. Uneingeschraenkt darf Frau/Mann sich praesentieren, und uneingeschraenkt darf Mann/Frau sich etwas zusammenphantasieren. Kommt es zum aber Uebergriff, schraenkt der Mann/Frau die Rechte der Frau/Mann auf Unversehrtheit ein. Die Kontrolle durch das kulturelle Normengebeude versagt, das Versagen wird durch eine ueber dem Einzelnen stehenden Kontrollinstanz sanktioniert, und zwar bei demjenigen der die Rechte eingeschraenkt hat. Relativierung
Ich moechte nicht falsch verstanden werden. Es gibt eine Reihe von kulturellen Errungenschaften, die die sowohl sexuelle Belaestigung als auch das Problem von Lyssa eigentlich zuverlaessig verhindern sollten: Respekt, Taktgefuehl, Distanz, Realitaetsbezug. Mir persoenlich wuerde schon dadurch ein Verhalten entsprechend dem Hoteldater unmoeglich sein.
Problem ist nur, das nicht alle Menschen auf der gleichen Entwicklungsstufe sind und somit diese Mechanismen unterschiedlich stark ausgepraegt sind. Eine homogene Entwicklungsstufe vorauszusetzen waere naiv. Manche Menschen sind halt eher sprechende Tiere denn hinreichend sozialisierte Wesen. Und was bedeutet das fuer Weblogger(innen)?
Gleiches gilt auch fuer jene Webloggerinnen (und Weblogger). Sie sind durch ihre Aeusserungen in den Weblogs dafuer verantwortlich, das in den einzelnen Menschen Wuensche, Beduerfnisse und Gedanken geweckt werden. Punkt. Kommunikation dient letztlich zur Manipulation der Gedanken anderer.
Ein Weblog hat aber nun mal den Charakters einer one-to-many-Kommunikation, will heissen, man manipuliert auch die Gedanken jener, die man eigentlich nicht meinte oder in einer Weise, die man eigentlich nicht intendiert hat.
Insofern hat die sendende Person damit zu rechnen, das bestimmte Dinge an sie herangetragen werden, die nicht erwuenscht sind. Man kann sich jetzt ueber den Geisteszustand einer Person unterhalten, die aus einer oeffentlichen Aeusserung einer ihm unbekannten Person fuer ihn bestimmte Nachrichten herauszuinterpretieren vermag.
Die Frage ist letztlich nur, ist der unbedingte Wunsch jemanden in ein Hotel zu fuehren und dessen Ausdruck schon eine Einschraenkung der Rechte des Sendenden oder nur ein Ausdruck eines reichlich verqueren Geisteszustands, ueber den man gleichermassen entsetzt wie amuesiert sein kann.
Wie im richtigen Leben gibt es halt Menschen die Zeichen richtig verstehen (bloggerin: ich erzaehle von mir, weil ich erzaehlen mag), falsch verstehen (bloggerin: ich erzaehle, um einen Naehe aufzubauen und ich erwaehle dann jemanden) oder garnicht (leser: wow, gut geschrieben) sehen. Konsequenzen ?
Letztlich muss sich jeder Mensch, der in irgendeiner Form an die Oeffentlichkeit tritt, darueberklar sein, das seine Aussagen interpretierungswuerdig sind und interpretiert werden, die Interpretation aber nicht notwendigerweise der korrekten Sichtweise entspricht. Die Autorin/Der Autor eines Seelen/Gedankenstriptease-Weblogs muss sich klar darueber sein, das das Weblog alle Facetten moeglicher Reaktionen ausloesen wird. Er/Sie muss fuer sich selbst beantworten, inwieweit des Risiko akzeptabel ist, das sich auch “Idioten” melden. Davon ist dann auch die Strategie zur Risikovermeidung abhaengig: Kann man es garnicht ab, gelegentlich zu aufdringliche Menschen in ihre Schranken verweisen zu muessen, sollte man erwaegen, nichts in ein Weblog zu schreiben, das Naehe suggerieren koennte (hierbei gilt allerdings nicht das eigene Empfinden, sondern das der Idioten da draussen).
Macht es einem nichts aus … nunja, dann kann man sehr viel mutiger werden. Man sollte nur sehr vorsichtig sein, inwieweit die Identitaet im Netz zu einer Identitaet im realen Leben zurueckverfolgt werden kann, und da gilt es auch auch an Kleinigkeiten zu denken. Die Idioten da draussen sind Legion und sie sind nicht notwendigerweise dumm. Und aus dem nervenden Mailschreiber kann gegebenenfalls schnell ein Stalker werden. Umgang
Stellt sich die Frage “Wie geht man mit solchen Menschen um?”. In der mir eigenen Art wuerde ich sagen “Hey, kein Interesse. Und wenn du glaubst, mein Weblog wuerde interesse Ausdruecken, such dir nen guten Psychologen”. Nungut, vielleicht etwas unfreundlich, aber ebenso unmissverstaendlich wie effektiv. Denn letztlich muss man die Gedankengebilde dieser Person schnellstmoeglich ohne jede Moeglichkeit eines Missverstaendnisses der Realitaet anpassen, weil das derjenige selbst augenscheinlich nicht konnte.